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elfboi schrieb am 13.12. 2002 um 22:57:41 Uhr über

kadath

Am Morgen begab sich Carter an Bord der Galione, die nach Celephais segelte und saß im Bug, als die Leinen losgemacht wurden und die lange Fahrt hinunter zur Cerenäischen See begann. Auf Meilen glichen die Ufer denen des Flußoberlaufs vor Thran; ab und zu erhob sich auf den ferneren Hügeln rechterhand ein merkwürdiger Tempel und dann lag wieder ein verträumtes Städtchen mit steilen, roten Dächern und in der Sonne ausgelegten Netzen am Ufer. Eingedenk seiner Suche, befragte Carter alle Matrosen ausführlich über diejenigen, denen sie in den Tavernen von Celephais begegnet waren und erkundigte sich nach den Namen und Gewohnheiten der seltsamen Männer mit engen Augen, großen Ohrläppchen, schmalrückigen Nasen und spitzen Kinnen, die in dunklen Schiffen aus dem Norden kamen und ihr Onyx gegen die bearbeitete Jade, das gesponnene Gold und die kleinen, roten Singvögel von Celephais tauschten. Von diesen Männern wußten die Seeleute kaum etwas, außer daß sie nur selten sprachen und anderen eine gewisse Scheu einflößten.

Ihre weitentfernte Heimat hieße Inquanok, und sie aufzusuchen seien nur wenige Leute gewillt, denn es wäre ein kaltes, dämmeriges Land, das dicht ans widrige Leng grenzen sollte, obwohl sich auf der Seite, wo Leng angeblich lag, hohe, unbezwingbare Berge türmten, so daß niemand sagen könne, ob das schlimme Plateau mit seinen entsetzlichen Steinsiedlungen und dem unnennbaren Kloster wirklich dort war, ober ob das Gerücht nur der Furcht entsprang, die ängstliche Leute nachts ergriff, wenn sich jene gräßlichen Grenzgipfel schwarz vor einem aufgehenden Mond abzeichneten. Gewiß, die Menschen erreichten Leng von den verschiedensten Ozeanen her. Über andere Grenzen Inquanoks war diesen Seeleuten nichts bekannt, und auch von der kalten Öde und dem unbekannten Kadath hatten sie nur in vagen, verworrenen Berichten gehört. Und von der wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang, nach der Carter suchte, wußten sie überhaupt nichts. Deshalb fragte der Reisende nicht länger nach entlegenen Dingen, sondern wartete den Zeitpunkt ab, wo er mit jenen fremdartigen Männern aus dem kalten und zwielichtigen Inquanok selbst sprechen konnte, welche Nachkommen jener Götter sind, die ihre Züge am Ngranek einmeißelten.

Spät am Tag erreichte die Galione die Flußschleifen, die die duftenden Dschungel von Kled durchziehen. Hier wäre Carter gern an Land gegangen, denn in diesen tropischen Dickichten schlafen, einsam und unzerstört, wundersame Elfenbeinpaläste, in denen einstens die sagenhaften Monarchen eines Landes lebten, dessen Name vergessen ist. Zauberformeln der Älteren bewahren diese Stätten vor Schaden und Zerfall, denn es steht geschrieben, daß sie eines Tages vielleicht wieder gebraucht werden; und Elefantenkarawanen haben sie von fern im Mondlicht schimmern sehen, doch niemand wagt sich ihnen weiter zu nahem, wegen der Wächter, denen sie ihre Unversehrtheit

verdanken. Aber das Schiff flog weiter, und der anbrechende Abend dämpfte die Laute des Tages, und die ersten Sterne am Himmel blinkten den frühen Leuchtkäfern an den Ufern Antwort zu, als jener Dschungel weit hinter ihnen blieb und nur seinen Duft zur Erinnerung zurückließ, daß es ihn gegeben hatte. Und die ganze Nacht hindurch trieb die Galione an unsichtbaren und ungeahnten Mysterien vorbei. Einmal meldete der Ausguck Feuer auf den Hügeln im Osten, doch der schläfrige Kapitän sagte, man sähe sie besser nicht zu lange an, denn es sei höchst ungewiß, wer oder was sie entzündet habe.

Morgens hatte sich der Fluß stark verbreitert, und die Häuser, die das Ufer säumten, zeigten Carter, daß sie kurz vor der mächtigen Handelsstadt Hianith an der Cerenäischen See waren. Hier sind die Mauern aus rauhem Granit und die Häuser von phantastischen, verputzten Balkengiebeln gekrönt. Die Leute von Hianith gleichen mehr den Menschen der wachen Welt als anderen des Traumlandes; man besucht die Stadt deshalb nur wegen des regen Tauschhandels, rühmt jedoch die solide Arbeit ihrer Kunsthandwerker. Die Kaianlagen von Hianith bestehen aus Eiche, und dort ankerte die Galione, während der Kapitän in den Tavernen feilschte. Auch Carter ging an Land und besah sich neugierig die ausgefahrenen Straßen, wo hölzerne Ochsenkarren rumpelten und in Bazaren hitzige Kaufleute ihre Waren ausriefen. Die Hafentavernen standen alle dicht bei den Kais, an Pflasterstraßen, die die Gischt hoher Fluten mit einer Salzkruste überzogen hatte, und durch ihre niedrigen, schwarzen Balkendecken und die Fensterflügel mit grünen Butzenscheiben wirkten sie sehr altertümlich. Greise Seeleute redeten in diesen Tavernen viel von fernen Häfen und erzählten manche Geschichte über die merkwürdigen Männer aus dem zwielichtigen Inquanok, konnten jedoch dem, was die Matrosen der Galione schon berichtet hatten, nichts Neues hinzufügen. Dann endlich, nach langem Ent- und Beladen, setzte das Schiff erneut Segel über das abendliche Meer, und die hohen Mauern und Giebel von Hianith versanken immer mehr, während ihnen das letzte, goldene Licht des Tages eine Pracht und Schönheit schenkte, die jene übertraf, die die Menschen ihnen verliehen hatten.

Zwei Nächte und zwei Tage segelte die Galione über die Cerenäische See, sah kein Land und passierte nur ein anderes Schiff. Gegen Sonnenuntergang des zweiten Tages ragte dann voraus der schneeige Gipfel des Aran, auf seinen unteren Hängen wiegten sich Gingkobäume, und Carter wußte, daß sie das Land Ooth-Nargai und die wundervolle Stadt Celephais erreicht hatten. Rasch kamen die glitzernden Minarette dieser sagenhaften Stadt in Sicht und die makellosen Marmorwälle mit ihren Bronzestatuen und die große Steinbrücke, wo der Naraxa ins Meer mündet. Jenseits der Stadt stiegen sanfte Hügel mit Wäldchen und Asphodelengärten, kleinen Schreinen und Cottages darauf an; und in weiter Feme lag gewaltig und mystisch die Purpurkette der Tanarischen Berge, hinter der verbotene Wege in die wache Welt und in andere Traumregionen führen.

Im Hafen drängten sich bemalte Galionen, von denen einige aus der marmornen Wolkenstadt Serannian stammten, die in ätherischen Gefilden schwebt, wo sich die See dem Himmel vermählt, und andere aus greifbareren Gegenden des Traumlandes. Zwischen ihnen hindurch fand der Steuermann seinen mühsamen Kurs zu den spezereiduftenden Kais, an denen die Galione in der Dämmerung festmachte, als die Millionen Lichter der Stadt anfingen über das Wasser zu flimmern. Ewig neu schien diese unsterbliche Stadt der Vision, denn hier besitzt die Zeit keine Macht zu entstellen oder zu zerstören. Wie eh und je schimmert matt der Türkis von Nath-Horthath, und die achtzig orchideenbekränzten Priester sind dieselben, die ihn vor zehntausend Jahren erbauten. Beständig glänzt die Bronze der großen Tore, und auch die Onyxpflaster nutzen sich nicht ab öde zerbröckeln. Und von den Mauern blicken die hohen Bronzestandbilder auf Kaufherren und Kameltreiber herab, die älter als die Fabel sind, und doch findet sich nicht ein graues Haar in ihren geteilten Barten.

Carter suchte kein einziges Mal den Tempel, den Palast oder die Zitadelle auf, sondern verweilte an der meernahen Mauer zwischen Seeleuten und Händlern. Und als es für Gerüchte und Legenden zu spät geworden war, begab er sich in eine ihm vertraute, alte Taverne und träumte im Schlaf von den Göttern auf dem unbekannten Kadath, nach denen er suchte. Am nächsten Tag durchforschte er sämtliche Kais nach den merkwürdigen Seefahrern aus Inquanok, erfuhr aber, daß sich augenblicklich keine im Hafen aufhielten, denn ihre Galione aus dem Norden wurde erst in zwei vollen Wochen erwartet. Er fand jedoch einen Seemann aus Thorabonien, der in Inquanok gewesen war und in den Onyxbrüchen jenes Dämmeriandes gearbeitet hatte; und dieser Seemann sagte, im Norden des bewohnten Gebietes gäbe es freilich eine Wüste, die jedermann zu fürchten und meiden schien. Der Thorabonier meinte, daß sich besagte Wüste um den äußersten Rand der unpassierbaren Gipfel herumziehe und in das schreckliche Plateau von Leng münde, und daß dies der Grund sei, warum sich die Leute vor ihr ängstigten; wiewohl er einräumte, daß noch andere, vage Geschichten über schlimme Erscheinungen und namenlose Schildwachen existierten. Ob dies die fabelhafte Öde sein konnte, wo der unbekannte Kadath ragte, wußte er nicht; doch schiene es abwegig, daß solche Erscheinungen und Schildwachen, falls es sie wirklich gab, grundlos stationiert wären.

Am folgenden Tag schritt Carter die Straße der Säulen zum Türkistempel hinauf und sprach mit dem Hohenpriester. Obwohl man in Celephais vorzüglich Nath-Horthath verehrt, werden doch auch alle Großen in täglichen Gebeten erwähnt; und der Priester verstand sich leidlich auf ihre Launen. Wie Atal im fernen Ulthar, riet auch er eindringlich von jedem Versuch ab, sie aufzusuchen; und erklärte, sie seien eigensinnig und kapriziös und unterstünden dem sonderbaren Schutz der Anderen Götter des Außenraumes, deren Seele und Bote das kriechende Chaos Nyarlathotep ist. Ihr eifersüchtiges Verbergen der wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang zeige deutlich, daß sie nicht wünschten, daß Carter dorthin gelangte, und es sei ungewiß, wie sie einen Gast aufnehmen würden, der mit dem Ziel kam, sie zu sehen und ihnen eine Bitte vorzutragen. In der Vergangenheit hätte kein Mensch den Kadath gefunden, und es mochte sich als ebenso gut erweisen, wenn ihn auch in Zukunft keiner fand. Solche Gerüchte wie sie über das Onyxschloß der Großen erzählt würden, klängen in keinster Weise ermutigend.

Als er sich bei dem orchideengekrönten Hohenpriester bedankt hatte, verließ Carter den Tempel und begab sich zum Bazar der Schafschlachter, wo der alte Anführer von Celephais Katzen zufrieden lebte. Das graue und würdige Wesen sonnte sich auf dem Onyxpflaster und streckte entspannt eine Pfote aus, als sein Besucher näher trat. Doch indem Carter die Losungsworte und Empfehlungen wiederholte, die ihm der alte Katzengeneral in Ulthar mitgegeben hatte, wurde der pelzige Patriarch sehr herzlich und gesprächig und erzählte viel von den geheimen Kenntnissen, welche die Katzen auf den seewärts liegenden Hügeln Ooth-Nargais besaßen. Das beste war, daß er manches von dem wiederholte, was ihm die scheuen, am Wasser lebenden Katzen von Celephais heimlich über die Männer aus Inquanok anvertraut hatten, deren dunkle Schilfe keine Katze betreten will.

Es scheint, daß diese Männer eine Aura umgibt, die nicht von der Erde stammt, obgleich dies nicht der Grund ist, warum keine Katze auf ihren Schiffen segeln mag. Der Grund hierfür liegt darin, daß Inquanok Schatten beherbergt, die keine Katze ertragen kann, und deshalb erklingt in dem ganzen kalten, zwielichtigen Reich auch nie ein freundliches Schnurren oder vertrautes Miau. Ob es von Dingen herrührt, die über die unpassierbaren Gipfel vom hypothetischen Leng herübergeweht werden, oder von Dingen, die durch die eisige Wüste im Norden einsickern, vermag niemand zu sagen; aber es bleibt die Tatsache, daß über diesem fernen Land ein Hauch des äußeren Raumes schwebt, den Katzen nicht mögen, und für den sie empfänglicher sind als die Menschen. Deshalb wollen sie nicht an Bord der dunklen Schiffe, die nach den Basaltkais von Inquanok segeln.

Der alte Anführer der Katzen sagte ihm auch, wo sein Freund König Kuranes zu finden war, der in Carters letzten Träumen abwechselnd im rosenkristallenen Palast der siebzig Wonnen zu Celephais und im türmchenbesetzten Wolkenschloß des himmelschwebenden Serannian regiert hatte. Es schien, daß,er an diesen Orten keine Zufriedenheit mehr zu finden vermochte, sondern eine tiefe Sehnsucht nach den englischen Klippen und Dünenländem seiner Kindheit empfand; wo in kleinen, verträumten Städtchen abends hinter Gitterfenstern Englands alte Lieder schweben, und wo graue Kirchtürme anmutig durch das Grün ferner Täler lugen. In der wachen Welt konnte er zu diesen Dingen nicht zurück, denn sein Körper war tot; aber er hatte das Zweitbeste getan, und sich einen schmalen Landstrich einer solchen Gegend erträumt, östlich der Stadt, wo sich von den Meeresklippen bis zum Fuß der Tanarischen Berge hübsche Wiesen entrollten. Dort lebte er in einem grauen, gotischen Herrenhaus aus Stein, das die See überschaute, und versuchte sich vorzustellen, es sei das alte Trevor Towers, wo er geboren wurde und wo dreizehn Generationen seiner Vorväter das Licht der Welt erblickt hatten. Und an der nahen Küste hatte er eines der kleinen Fischerdörfchen Comwalls mit steilen Pflastergassen entstehen lassen, solche Leute hineingesetzt, die die englischsten Gesichter trugen und immer wieder versucht, ihnen den liebevoll erinnerten Akzent alter Comwallfischer beizubringen. Und in einem nicht weit entfernten Tal hatte er eine große normannische Abtei errichtet, deren Turm er von seinem Fenster aus sehen konnte, und um ihn herum plazierte er im Kirchhof graue Steine mit den eingehauenen Namen seiner Vorfahren darauf und einem Moos, das ein wenig dem Moos des alten England glich. Denn obwohl Kuranes ein Monarch im Land des Traumes war, dem alles Erdenkliche an Pomp und Wunder, Pracht und Schönheit, Ekstase und Wonne, Neuheit und Aufregung zu Gebote stand, würde er doch glücklich all seiner Macht, seines Luxus und seiner Freiheit auf immer entsagt haben, für einen gesegneten Tag als einfacher Junge in diesem reinen und stillen England, diesem alten, geliebten England, das sein Wesen geformt hatte und von dem er auf ewig ein unwandelbarer Teil bleiben mußte. Als sich Carter von dem alten, grauen Anführer der Katzen verabschiedet hatte, suchte er folglich nicht den Terrassenpalast aus Rosenkristall auf, sondern schritt zum Osttor hinaus und durch die mit Maßliebchen übersäten Felder auf einen spitzen Giebel zu, den er zwischen den Eichen eines Parks erspähte, der bis zu den Klippen am Meer reichte. Bald kam er zu einer großen Hecke und einem Tor mit Backsteinpförtnerhäuschen, und als er die Glocke zog, humpelte zum Öffnen kein befrackter und geschniegelter Lakai herzu, sondern ein kleiner, stämmiger alter Mann im Kittel, der sich so gut er konnte in den wunderlichen Lauten des fernen Cornwall versuchte. Und Carter ging den schattigen Pfad unter Bäumen hinauf, die so weit als möglich Englands Bäumen glichen, und erkletterte Terrassen zwischen Gärten, die wie zur Zeit Queen Armes angelegt waren. An der Tür, flankiert von Steinkatzen im alten Stil, wurde er von einem backenbärtigen Butler in gemäßer Livree empfangen und sogleich in die Bibliothek geleitet, wo Kuranes, Lord von Ooth-Nargai und dem Himmel um Serannian, schwermütig in einem Stuhl am Fenster saß, auf sein kleines Küstendörfchen schaute und sich wünschte, sein altes Kindermädchen würde hereinkommen und ihn ausschelten, weil er für dies verhaßte Rasenfest beim Vikar nicht fertig war, wo doch die Kutsche schon wartete und seine Mutter schier die Beherrschung verlor. Kuranes, in einen Schlafrock solchen Zuschnitts gekleidet, wie ihn die Londoner Schneider in seiner Jugend favorisierten, erhob sich rasch, um seinen Gast zu begrüßen; denn der Anblick eines Angelsachsen aus der wachen Welt war ihm sehr lieb, selbst wenn dieser aus Boston, Massachusetts, anstatt aus Cornwall kam. Und lange sprachen sie von alten Zeiten und hatten sich viel zu sagen, denn beide waren alte Träumer und wohlvertraut mit den Wundem unglaublicher Orte. Kuranes war wirklich jenseits der Sterne, draußen in der Ultimaten Leere gewesen, und er galt für den einzigen, der jemals bei Verstand von einer solchen Reise zurückgekehrt war.

Schließlich brachte Carter das Thema auf seine Suche, und stellte seinem Gastgeber jene Fragen, die er schon so vielen anderen gestellt hatte. Kuranes wußte nicht, wo der Kadath oder die wunderbare Stadt im Sonnenuntergang lagen; aber er wußte, daß die Großen sehr gefährliche Kreaturen seien, wollte man sie aufsuchen, und daß die Anderen Götter merkwürdige Mittel besäßen, um sie vor aufdringlicher Neugier zu schützen. In fernen Regionen des Alls hatte er viel über die Anderen Götter erfahren, besonders in jener Region, wo keine Formen existieren, und farbige Gase die innersten Geheimnisse ergründen. Das violette Gas S'ngac hatte ihm entsetzliche Dinge über das kriechende Chaos Nyariathotep erzählt und ihn davor gewarnt, sich jemals der Zentralleere zu nahem, wo der Dämonen-Sultan Azathoth im Finstern hungrig nagt. Alles in allem, sei es nicht gut, sich mit den Älteren einzulassen; und wenn sie beharrlich jeden Zugang zu der wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang verwehrten, wäre es besser, diese Stadt nicht zu suchen.

Kuranes bezweifelte außerdem, ob seinem Gast irgendein Vorteil erwüchse, selbst wenn es ihm gelänge, diese Stadt zu erreichen. Er selbst habe lange Jahre vom schönen Celephais und dem Land Ooth-Nargai geträumt und sich danach gesehnt und nach der Freiheit und Farbigkeit und herrlichen Erfahrung eines Lebens ohne Fesseln, Konventionen und Stumpfsinn. Aber jetzt, da er in diese Stadt und in dieses Land gekommen wäre und König davon sei, erschienen ihm die Freiheit und Lebhaftigkeit nur allzu schnell stumpf und monoton, weil sie jeglicher Verbindung zu etwas Festbegründetem in seinen Gefühlen und Erinnerungen entbehrten. Er sei König von Ooth-Nargai, fände aber keinen Sinn darin und gräme sich immer um die altvertrauten Dinge Englands, die seine Jugend geformt hatten. Sein ganzes Königreich würde er für den Klang von Kirchenglocken über Comwalls Dünen geben, und all die tausend Minarette von Celephais für die steilen, heimischen Dächer des Städtchens bei seinem Geburtshaus. Deshalb sagte er seinem Gast, daß die unbekannte Stadt im Sonnenuntergang möglicherweise nicht ganz die Zufriedenheit barg, die er suchte, und daß sie vielleicht besser ein glorioser, halberinnerter Traum bliebe. Denn er hatte Carter in den alten, wachen Tagen oft besucht, und kannte die hübschen Hügel New Englands gut, die ihn geboren hatten.

Am Ende, davon sei er überzeugt, würde sich der Sucher doch nur nach den von früher her erinnerten Szenen sehnen; nach dem Glühen von Beacon Hill im Abendschein, den hohen Glockentürmen und krummen Bergstraßen des malerischen Kingsport, den altersgrauen Walmdächern des betagten und verhexten Arkham, und nach den gesegneten Auen und Tälern, wo sich Steinmauern kreuz und quer wanden und weiße Farmhausgiebel aus grünen Lauben lugten. Diese Dinge erzählte er Randolph Carter, doch der Sucher hielt noch immer an seinem Vorhaben fest. Und zuletzt trennten sie sich, jeder mit seiner eigenen Überzeugung, und Carter ging durch das bronzene Tor wieder nach Celephais hinein und die Straße der Säulen hinunter zur alten Seemauer, wo er sich weiter mit den Seeleuten aus fernen Häfen unterhielt, und auf das dunkle Schilf aus dem kalten und zwielichtigen Inquanok wartete, dessen Seeleute und Onyxhändler mit den fremdartigen Gesichtern das Blut der Großen in sich trugen.

Eines sternklaren Abends, als der Pharos blendend über den Hafen schien, lief das langerwartete Schiff ein, und Seeleute und Händler mit fremdartigen Gesichtern erschienen einer nach dem anderen und Gruppe auf Gruppe in den alten Tavernen an der Seemauer. Es war sehr erregend, diesen lebendigen Gesichtern wieder zu begegnen, die den göttlichen Zügen am Ngranek so stark glichen, aber Carter hatte es nicht eilig, mit den stillen Seemännern zu sprechen. Er wußte nicht, wieviel Stolz, Verschwiegenheit und vage, himmlische Erinnerung diese Kinder der Großen erfüllen mochte, und glaubte sicher, daß es unklug wäre, ihnen von seiner Suche zu erzählen oder sich zu eingehend nach jener kalten Wüste im Norden ihres Zwielichtlandes zu erkundigen. Sie redeten wenig mit den anderen Gästen der alten Hafentaveme und zogen sich grüppchenweise in entlegene Ecken zurück, wo sie unter sich die bezaubernden Weisen unbekannter Stätten sangen oder einander lange Geschichten in einem Dialekt erzählten, der dem übrigen Traumland fremd ist. Und die Weisen und Geschichten klangen so ungewöhnlich und anrührend, daß man ihre Wunder von den Gesichtern der Lauschenden ablesen konnte, obwohl die Worte an normale Ohren nur als sonderbare Kadenzen und obskure Melodien drangen.

Eine Woche lang lungerten die seltsamen Seeleute in den Tavernen herum und handelten in den Bazaren von Celephais, und ehe sie lossegelten, hatte Carter Passage auf dem dunklen Schiff genommen, und ihnen gesagt, er sei erfahren im Onyxbergbau und wünsche sich sehnlichst, in ihren Brüchen zu arbeiten. Das Schilf war wunderschön und meisterhaft gezimmert; es bestand aus Teakholz mit Ebenholzbeschlägen und goldenem Maßwerk, und die Kabine, in der der Reisende logierte, besaß Wandbekleidungen aus Samt und Seide. Eines Morgens wurden mit dem Wechsel der Gezeiten die Segel gehißt und der Anker gelichtet, und als Carter auf dem hohen Heck stand, sah er die im Sonnenaufgang gleißenden Wälle und Bronzestatuen und goldenen Minarette des zeitlosen Celephais in der Feme versinken und den schneeigen Gipfel des Aran kleiner und kleiner werden. Mittags gab es nur noch das sanfte Blau der Cerenäischen See und eine bemalte Galeere am Horizont, unterwegs zu den Gefilden von Serannian, wo sich die See dem Himmel vermählt.

Und die Nacht kam mit prächtigen Sternen, und das dunkle Schiff hielt Kurs auf den Himmelswagen und den Kleinen Bär, die langsam um den Pol schwangen. Und die Matrosen sangen sonderbare Lieder von unbekannten Orten, und sie stahlen sich einer nach dem anderen zum Vorderkastell davon, während die aufmerksamen Wachen alte Gesänge murmelten und über der Reling lehnten, um die Leuchtfische in Gärten unter dem Meer spielen zu sehen. Carter legte sich um Mitternacht zur Ruhe, und als er sich im Glühen eines jungen Morgens erhob, schien ihm die Sonne südlicher zu stehen als gewöhnlich. Und während des ganzen zweiten Tages lernte er die Männer des Schiffes besser kennen, und brachte sie nach und nach dazu, von ihrem kalten, zwielichtigen Land, der exquisiten Onyxstadt und ihrer Angstvor den hohen, unbezwingbaren Gipfeln, hinter denen Leng liegen sollte, zu erzählen. Sie sagten ihm, wie traurig sie wären, daß im Lande Inquanok keine Katzen bleiben mochten, und daß ihrer Ansicht nach die heimliche Nähe von Leng Schuld daran trüge. Nur über die steinige Wüste im Norden wollten sie nicht reden. Diese Wüste hätte etwas Beunruhigendes an sich und man hielte es für ratsam, ihre Existenz zu verleugnen.

An den folgenden Tagen sprachen sie über die Onyxbrüche, in denen Carter angeblich arbeiten wollte. Davon gäbe es viele, denn die ganze Stadt Inquanok sei aus Onyx erbaut, und außerdem tausche man in Rinar, Ogrothan und Celephais und im eigenen Land mit den Kaufleuten aus Thraa, Ilarnek und Kadatheron mächtige, polierte Onyxblöcke gegen die herrlichen Waren dieser sagenhaften Häfen. Und hoch im Norden, fast in der kalten Wüste, deren Existenz die Menschen aus Inquanok nicht zugeben mochten, läge ein unbenutzter Onyxbruch, größer als alle anderen, aus dem in vergessenen Zeiten so gewaltige Brocken und Blöcke herausgeschlagen worden waren, daß der Anblick der ausgemeißelten Löcher jeden mit Entsetzen erfülle. Wer diese unglaublichen Blöcke abgespalten hatte und wohin sie transportiert worden waren, könne kein Mensch sagen; doch erachte man es für das Klügste, diesen Onyxbruch, dem möglicherweise solch unmenschliche Erinnerungen anhafteten, in Ruhe zu lassen. Deshalb läge er ganz verlassen im Zwielicht, wo nur der Rabe und der geheimnisumwitterte Shantak-Vogel über seinen Ungeheuerlichkeiten brüteten. Als Carter von diesem Onyxbruch hörte, versank er in tiefe Nachdenklichkeit, denn er wußte aus alten Geschichten, daß das Schloß der Großen oben auf dem unbekannten Kadath aus Onyx ist.

Jeden Tag kreiste die Sonne nun tiefer am Himmel, und die Nebel oben verdichteten sich. Und nach zwei Wochen gab es gar kein Sonnenlicht mehr, nur noch ein unheimliches, graues Zwielicht, das bei Tage durch einen Dom ewiger Wolken schien, und eine kalte, sternlose Phosphoreszenz, die bei Nacht von der Unterseite dieser Wolken ausging. Am zwanzigsten Tag sichtete man aus der Ferne einen großen, zackigen Felsen, das erste Land, seit Arans schneeiger Gipfel hinter dem Schiff geschrumpft war. Carter fragte den Kapitän nach dem Namen des Felsens, bekam jedoch zur Antwort, daß er keinen besäße und niemals von einem Schiff angelaufen worden wäre, wegen der Geräusche, die des Nachts von ihm kämen. Und als sich nach Einbruch der Dunkelheit ein dumpfes, nicht enden wollendes Geheul von diesem schrundigen Felsen erhob, da war der Reisende froh, daß man nicht Station gemacht hatte, und daß der Felsen keinen Namen trug. Die Seeleute beteten und sangen, bis der Lärm nicht mehr zu hören war, und in den frühen Morgenstunden träumte Carter schreckliche Schachtelträume.

Zwei Morgen darauf zeichnete sich weit voraus und östlich eine Linie grauer Gipfel ab, deren Spitzen sich in den unveränderlichen Wolken dieser trüben Zwielichtwelt verloren. Und bei ihrem Anblick stimmten die Seeleute frohe Lieder an, und einige knieten auf Deck nieder um zu beten; da wußte Carter, daß sie nach dem Lande Inquanok gekommen waren und bald an den Basaltkais der großen Stadt vertäut liegen würden, die den Namen des Landes trug. Gegen Mittag tauchte ein dunkler Küstenstrich auf, und noch vor drei Uhr traten im Norden die Zwiebelkuppeln und phantastischen Helmdächer der Onyxstadt hervor. Außerordentlich fremdartig erhob sich diese archaische Stadt über ihren Mauern und Kais, überall von einem delikaten Schwarz, mit Schnörkeln, Kannelüren und Arabesken aus eingelegtem Gold. Hoch und vielfenstrig waren die Häuser und auf jeder Seite mit Blumen und Mustern verziert, deren dunkle Symmetrien das Auge mit einer eher ergreifenden als sorglosen Schönheit verwirrten. Manche endeten in bombastischen Kuppeln, die in einer Spitze ausliefen, andere in Terrassenpyramiden von denen Minarettgruppen aufstrebten, die in jedem nur erdenklichen Stadium der Fremdartigkeit und Phantasie prangten. Die Mauern waren niedrig und häufig von Toren durchbrochen; über jedem spannte sich ein großer Bogen, der die Normalhöhe weit überragte und von dem Kopf eines Gottes gekrönt wurde, der mit demselben Geschick gemeißelt war, das sich auch in dem monströsen Gesicht auf dem fernen Ngranek aussprach. Auf einem Hügel im Zentrum ragte ein sechzehneckiger Tempel über alle anderen hinaus und trug einen hohen, zinnengeschmückten Glockenturm, der auf einem abgeflachten Dom ruhte. Dies, sagten die Seeleute, sei der Tempel der Älteren, der von einem alten Hohenpriester regiert werde, den verborgene Geheimnisse quälten.

In Intervallen zitterte der Klang einer befremdlichen Glocke über die Onyxstadt, ihm antwortete jedesmal ein Schall mystischer Musik aus Hömem, Bratschen und Singstimmen. Und aus einer Reihe von Dreifüßen auf einer den hohen Dom des Tempels umlaufenden Galerie, leckten zu bestimmten Augenblicken Flammenzungen empor; denn die Priester und Menschen dieser Stadt waren in den uranfänglichen Mysterien erfahren und getreu im Bewahren des Rhythmus der Großen, so wie er in Schriftrollen angeordnet wird, die älter sind als die Pnakotischen Manuskripte. Als das Schiff an dem mächtigen, basaltenen Wellenbrecher vorbei in den Hafen schaukelte, vernahm man den Alltagslärm der Stadt, und Carter sah die Sklaven, Seemänner und Kaufleute auf den Docks. Die Seeleute und Kaufmänner gehörten der fremdgesichligen Rasse der Götter an, doch die Sklaven waren vierschrötige, schieläugige Leute, die es Gerüchten zufolge irgendwie aus den Tälern hinter Leng über oder um die unwegsamen Gipfel herum hierher verschlagen hatte. Die Piers reichten weit über die Stadtmauer hinaus und trugen alle möglichen Handelswaren der dort ankernden Galeeren; während an einem Ende große Halden bearbeiteten und unbearbeiteten Onyx darauf warteten, nach den fernen Häfen von Rinar, Ograthan und Celephais verschilft zu werden. Noch ehe der Abend richtig anbrach, warf das dunkle Schiff neben einem ausladenden Steinkai Anker, und alle Matrosen und Händler marschierten an Land und unter dem Bogentor hindurch in die Stadt. Die Straßen dieser Stadt waren mit Onyx gepflastert und manche breit und gerade, andere hingegen eng und krumm. Die Häuser dicht am Wasser waren niedriger als die übrigen und wiesen über ihren kurios gewölbten Torwegen gewisse goldene Zeichen auf, wie es hieß zu Ehren der jeweiligen kleinen Götter, die jeder für sich favorisierte. Der Kapitän des Schiffes brachte Carter in eine alte Hafentaverne, wo die Seefahrer wunderlicher Länder beisammenhockten, und versprach ihm am nächsten Tag die Wunder der Zwielichtstadt zu zeigen und ihn in die Tavernen der Onyxbergleute an der Nordmauer zu führen. Und der Abend senkte sich herab, und kleine Bronzelampen wurden entzündet, und die Seeleute in jener Taverne sangen Lieder von entfernten Stätten. Doch als die große Glocke von ihrem hohen Turm über die Stadt zitterte, und der Schall der Homer und Bratschen und Stimmen ihr Antwort gab, unterbrachen alle ihre Lieder oder Geschichten und verneigten sich schweigend, bis das letzte Echo erstarb. Denn über der Dämmerstadt von Inquanok liegt ein Wunder und eine Sonderbarkeit, und die Menschen hüten sich, in ihren Riten nachlässig zu sein, aus Furcht vor einem Verhängnis und einer Strafe, die unvermutet nahe lauem könnten.

Tief in den Schatten dieser Taverne sah Carter eine untersetzte Gestalt, die ihm mißfiel, denn es war unverwechselbar die des alten, schieläugigen Kaufmannes, dem er vor so langer Zeit in den Tavernen von Dylath-Leen begegnet war, und der in dem Ruf stand, mit den schrecklichen Steindörfem von Leng Handel zu treiben, welche kein getroster Mensch besucht; ja, er sollte sogar mit jenem unsäglichen Hohenpriester Geschäfte gemacht haben, der eine gelbe Seidenmaske vor dem Gesicht trägt und ganz allein in einem prähistorischen Steinkloster lebt. Dieser Mann schien ein merkwürdig wissendes Gesicht gemacht zu haben, als Carter die Händler von Dylath-Leen nach der kalten Öde und dem Kadath fragte; und irgendwie wirkte seine Gegenwart im dunklen und verhexten Inquanok, so nahe der Wunder des Nordens, nicht eben beruhigend. Bevor Carter mit ihm sprechen konnte, war er völlig verschwunden, und die Seeleute erzählten später, er wäre aus einer nur ungenau bezeichneten Gegend mit einer Yak-Karawane gekommen, die als Fracht die kolossalen und besonders wohlschmeckenden Eier des sagenhaften Shantak-Vogels mitführte, um sie gegen die kunstvollen Jadepokale zu tauschen, die Händler aus Ilarnek brachten.

Am folgenden Morgen führte der Schiffskapitän.Carter durch die Onyxstraßen von Inquanok, die schwarz unter dem zwielichtigen Himmel lagen. Die getäfelten Türen und figurengeschmückten Häuserfronten, die gemeißelten Balkone und kristallverglasten Erker, alles schimmerte mit einer düsteren und polierten Lieblichkeit; und dann und wann tat sich eine Plaza auf mit schwarzen Säulen, Kolonnaden und den Statuen wunderlicher, menschlicher wie fabulöser Wesen. Manche der Ausblicke auf lange und schnurgerade Straßen, in Nebengäßchen oder über Zwiebelkuppeln, Spitztürme und arabeskenverzierte Dächer waren über alle Beschreibung unirdisch und schön; und nichts war herrlicher als die eindrucksvolle Höhe des großen Zentraltempels der Älteren, mit den sechzehn behauenen Seiten, dem abgeflachten Dom und seinem zinnengeschmückten Glockenturm, alles andere überragend und bei jedem Vordergrund majestätisch anzuschauen. Und im Osten, weit jenseits der Stadtmauern und den Meilen Weidelandes ragten immer die hageren, grauen Flanken jener unermeßlich hohen und ungangbaren Gipfel, hinter denen das gräßliche Leng liegen sollte. Der Kapitän brachte Carter zu dem mächtigen Tempel, der mit seinem umwallten Garten auf einem weiten Rundplatz liegt, von dem die Straßen wie Speichen von einer Radnabe ausgehen. Die sieben Bogentore dieses Gartens, jedes trägt ein ebensolches gemeißeltes Gesicht wie die einzelnen Stadttore, stehen fortwährend offen, und die Leute durchstreifen ehrfürchtig nach Belieben die geziegelten Pfade und kleinen Sträßchen, die von grotesken Tennen und den Schreinen einfacher Götter gesäumt sind. Und es gibt dort Fontänen, Teiche und Bassins, in denen sich die Flammenzungen aus den Dreifüßen auf dem Hochbalkon spiegeln; ganz aus Onyx sind sie und beherbergen kleine leuchtende Fische, die Taucher aus den tiefen Gründen des Ozeans mitgebracht haben. Wenn der tiefe Klang vom Glockenturm des Tempels über den Garten und die Stadt zittert und die Antwort der Hörner und Bratschen und Stimmen aus den sieben Häuschen bei den Gartentoren schallt, treten aus den sieben Toren des Tempels lange Reihen schwarzgekleideter, maskierter und kapuzenverhüllter Priester, die mit ausgestreckten Armen große goldene Becken vor sich hertragen, denen ein merkwürdiger Rauch entsteigt. Und alle sieben Reihen stolzieren in einem absonderlichen Gänsemarsch, mit gestreckten, weit nach vom geworfenen Beinen, die Wege hinunter, die zu den sieben Häuschen führen, in denen sie verschwinden und nicht wieder zum Vorschein kommen. Es heißt, daß unterirdische Gänge die Häuschen mit dem Tempel verbinden, und daß die Züge der Priester durch sie zurückkehren; man munkelt auch, daß tiefe Onyxtreppenfluchten zu nie erwähnten Mysterien hinabführen. Aber es sind nur wenige die andeuten, daß die Priester in den maskierten und kapuzenverhüllten Reihen keine menschlichen Wesen sind. Carter betrat den Tempel nicht, denn dies ist einzig dem Verschleierten König gestattet. Doch ehe er den Garten verließ, kam die Stunde der Glocke, und er hörte den zitternden Klang betäubend über sich und das Klagen der Homer und Bratschen und Stimmen aus den sieben Häuschen bei den Toren. Und die sieben breiten Wege hinunter stakten in ihrer eigentümlichen Art die langen Reihen beckentragender Priester und flößten dem Reisenden eine Furcht ein, die menschliche Priester selten vermitteln. Als der letzte von ihnen verschwunden war, verließ er den Garten und bemerkte unterwegs einen Fleck auf dem Ziegelpflaster über das die Becken getragen worden waren. Selbst dem Schiffskapitän gefiel dieser Fleck nicht, und er drängte Carter zu dem Hügel, auf dem sich der Palast des Verschleierten Königs vielkuppelig und wunderbar erhebt.

Die Wege hinauf zum Onyxpalast sind steil und eng, ausgenommen der eine, breite, geschwungene über den der König und seine Gefährten auf Yaks reiten oder in yakgezogenen Triumphwagen fahren. Carter und sein Führer klommen eine Stufenallee empor, zwischen Mosaikwänden, die seltsame goldene Siglen trugen und unter Balkonen und Erkern hindurch, denen manchmal sanfte Musik oder ein Hauch exotischen Wohlgeruchs entströmte. Voraus ragten immer jene Titanenwälle, mächtigen Strebepfeiler und dichtgedrängten Zwiebelkuppeln für die der Palast des Verschleierten Königs berühmt ist; und schließlich schritten sie unter einem großen schwarzen Bogen weg und standen in den Lustgärten des Monarchen. Hier hielt Carter von soviel Schönheit betäubt inne; denn die Onyxterrassen und Kolonnadengänge, die geputzten Portieren und delikat blühenden, mit goldenen Spaliergittern versehenen Bäume, die ehernen Urnen und Dreifüße mit kunstvollen Basreliefs, die piedestalgetragenen, beinahe lebensechten Statuen aus geädertem schwarzen Marmor, die gekachelten, von Leuchtfischen bevölkerten Fontänen der basaltgrundigen Lagune, die winzigen Tempel irisierender Singvögel oben auf den gemeißelten Säulen, die wundervollen Schnörkelverzierungen der großen Bronzetore und das blühende Weinlaub, das sich über jeden Zoll der polierten Mauer rankte, alles verschmolz zu einem Anblick, dessen Lieblichkeit jenseits der Realität lag und der sogar im Land des Traumes halb fabulös wirkte. Dort schimmerte er wie eine Vision unter dem Dämmerhimmel mit der kuppeligen und ornamentalen Pracht des Palastes voraus und der phantastischen Silhouette der fernen, unbezwingbaren Gipfel zur Rechten. Und fortwährend sangen die kleinen Vögel und die Fontänen, während das Parfüm rarer Blüten sich wie ein Schleier über diesen unglaublichen Garten breitete. Andere menschliche Wesen ließen sich nicht sehen, und Carter freute sich, daß es so war. Dann kehrten sie um und stiegen die Allee aus Onyxstufen wieder hinab, denn den Palast selbst darf kein Besucher betreten; und es ist nicht gut, den großen Zentraldom zu lange und unverwandt anzuschauen, denn in ihm soll der archaische Vater aller sagenumwobenen Shantak- Vögel hausen und den Neugierigen eigentümliche Träume senden.

Anschließend geleitete der Kapitän Carter in das nördliche Stadtviertel nahe beim Tor der Karawanen, wo sich die Tavernen der Yak-Kaufleute und Onyxbergarbeiterbefinden. Und dort, in einem niedrigen Gasthof der Steinbrecher, sagten sie einander Lebewohl; denn den Kapitän riefen Geschäfte, und Carter drängte es, mit den Bergarbeitern über den Norden zu sprechen. Der Gasthof war gut besucht, und es dauerte nicht lange, da kam der Reisende mit einigen Männern ins Gespräch; er sagte, er sei erfahren im Onyxabbau und gespannt darauf, etwas über die Brüche von Inquanok zu hören. Doch alles was er erfuhr ging kaum über das hinaus, was er vorher schon gewußt hatte, denn die Bergleute äußerten sich schüchtern und ausweichend über die kalte Wüste im Norden und den Steinbruch, den kein Mensch aufsucht. Sie fürchteten sich vor fabulösen Sendboten aus der Gegend der Berge, wo Leng liegen sollte und vor schlimmen Erscheinungen und namenlosen Schildwachen hoch im Norden im Felsengewirr. Und sie wisperten auch, daß die sagenumwobenen Shantak-Vögel keine heilsamen Wesen seien; es wäre wirklich nur zum Besten, daß kein Mensch jemals wahrhaftig einen gesehen habe (denn jener fabelhafte Vater der Shantaks im Dom des Königs würde im Dunkeln gefüttert).

Am nächsten Tag mietete sich Carter, unter dem Vorwand, er wolle die verschiedenen Minen und die verstreut umherliegenden Farmen und wunderlichen Onyxstädtchen alle selbst besichtigen , einen Yak und packte große, lederne Satteltaschen für eine Reise. Hinter dem Tor der Karawanen verlief die Straße gerade zwischen gepflügten Feldern und manch sonderbaren, von flachen Kuppeln gekrönten Farmhäusem. Bei einigen dieser Häuser machte der Reisende halt um Fragen zu stellen; einmal fand er dabei einen Wirt so ernst und schweigsam und so voll einer unverstellten Majestät, gleich jener, die das gewaltige Gesicht auf dem Ngranek ausstrahlte, daß er sicher glaubte, endlich einem der Großen selbst oder jemand zu neun Zehntel von ihrem Blut, begegnet zu sein, der unter den Menschen wohnte. Und diesem ernsten und schweigsamen Hüttenbewohner gegenüber war er äußerst bedacht darauf, sehr gut von den Göttern zusprechen und alle die Segnungen zu preisen, die sie ihm je gewährt hatten.

Diese Nacht schlief Carter in einer Wiese an der Straße unter einem großen Lygath-Baum, an den er seinen Yak festband, und morgens setzte er die Pilgerfahrt nach Norden fort. Gegen zehn Uhr erreichte er das kleinkuppelige Städtchen Urg, wo Händler ausruhen und Bergleute Geschichten erzählen, und rastete bis Mittag in seinen Tavernen. Hier biegt die große Karawanenstraße westlich nach Seiarn ab, doch Carter schritt auf der Steinbruchstraße weiter dem Norden zu. Den ganzen Nachmittag folgte er der ansteigenden Straße, die etwas schmaler als die große Hauptstraße war und jetzt durch eine Region führte, wo es mehr Felsen als gepflügte Felder gab. Und am Abend hatten sich die niedrigen Hügel linker Hand zu ansehnlichen schwarzen Klippen aufgeworfen, und so wußte er, daß er sich nahe des Bergbaugebietes befand. Immerwährend türmten sich fernab zu seiner Rechten die großen, hageren Flanken der unbegehbaren Berge, und je weiter er ging, um so schlimmer wurden die Geschichten, die ihm die vereinzelten Farmer, Händler und Fahrer von rumpelnden Onyxkarren über sie erzählten.

Die zweite Nacht kampierte er im Schatten einer großen, schwarzen Klippe, und zurrte seinen Yak an einer in den Boden gerammten Stange fest. Ihm fiel die größere Phosphoreszenz der Wolken an diesem nördlicheren Punkt auf, und mehr als einmal glaubte er, dunkle Formen zu sehen, die sich vor ihnen abzeichneten. Und am dritten Morgen gelangte der erste Onyxbruch in Sicht und er grüßte die Männer, die dort mit Picken und Meißeln arbeiteten. Vor dem Abend hatte er elf Steinbrüche passiert; das Land hier gehörte nur den Kliffs und Blöcken aus Onyx, es besaß überhaupt keine Vegetation, nur große, auf einem schwarzen Erdboden versprengt herumliegende Felsbrocken, und die grauen, unwegsamen Gipfel, die sich immer hager und sinister auf seiner rechten Seite erhoben. Die dritte Nacht verbrachte er in einem Lager von Steinbrucharbeitern, deren flackernde Feuer unheimliche Reflexe auf die glänzenden Klippen im Westen warfen. Und sie sangen viele Lieder und erzählten viele Geschichten, die ein so auffallendes Wissen um die früheren Zeiten und die Gewohnheiten von Göttern besprachen, daß Carter merkte, daß sie viele versteckte Erinnerungen an ihre Vorfahren, die Großen, bewahrten. Sie fragten ihn wohin erginge, und warnten ihn davor, nicht zu weit in den Norden vorzudringen; doch er antwortete, er sei auf der Suche nach neuen Onyxklippen und würde keine größeren Risiken eingehen als unter Prospektoren üblich wäre. Am Morgen sagte er ihnen adieu und ritt in den sich verdunkelnden Norden, wo er, wie sie ihm angekündigt hatten, den gefürchteten und gemiedenen Onyxbruch finden würde, aus dem Hände, älter als die des Menschen, ungeheure Blöcke gebrochen hatten. Aber es behagte ihm nicht, daß er, als er sich zu einem letzten Abschiedswinken umdrehte, zu sehen glaubte, wie sich dem Lager jener untersetzte und schwerzufassende Kaufmann mit den Schielaugen näherte, dessen mutmaßlicher Handel mit Leng das Gerücht im fernen Dylath-Leen war.

Nach abermals zwei Onyxbrüchen schien der bewohnte Teil Inquanoks zu enden, und die Straße verengte sich zu einem steil ansteigenden Yakpfad zwischen widerwärtig schwarzen Klippen. Immer zur Rechten türmten sich die kahlen und fernen Gipfel, und als Carter weiter und weiter in dies unbekannte Reich hinaufkletterte wurde es dunkler und kälter. Bald stellte er fest, daß der schwarze Pfad unten weder Fuß- noch Hufabdrücke aufwies, und er begriff, daß er tatsächlich auf sonderbare und verlassene Wege der Vorzeit gestoßen war. Hin und wieder krächzte ein Rabe hoch in der Luft, und dann und wann ließ ihn ein Flappen hinter irgendeinem gewaltigen Felsen voll Unbehagen an den geheimnisumwitterten Shantak-Vogel denken. Doch ansonsten war er allein mit seinem zottigen Reittier, und es bedrückte ihn, daß dieser exzellente Yak immer widerstrebender vorwärts ging und auf das kleinste Geräusch längs des Weges zunehmend mit ängstlichem Schnauben reagierte. Der Steig zwängte sich jetzt zwischen schwarzen und glitzernden Wänden und gewann noch mehr an Steilheit. Er gewährte schlechten Halt, und der Yak glitt häufig auf den dickgestreuten Steinsplittem aus. Nach zwei Stunden sah er voraus einen letzten Kamm liegen, hinter dem sich nur noch ein stumpfgrauer Himmel spannte, und er pries die Aussicht auf einen flachen oder abschüssigen Weg. Diesen Kamm jedoch zu erreichen erwies sich als nicht einfach, denn der Weg stieg fast lotrecht an, und schwarze, lose Kiesel und kleine Steine machten ihn gefährlich. Schließlich rutschte Carter aus dem Sattel und führte seinen unsicheren Yak am Zügel; bockte oder strauchelte das Tier, mußte er mit aller Kraft ziehen und dabei noch achtgeben, daß er nicht selbst den Halt verlor. Plötzlich stand er dann auf dem Bergkamm und wurde dessen gewahr was dahinter lag, und dieser Anblick raubte ihm den Atem.

Der Pfad verlief wahrhaftig in einer leicht geneigten Geraden und genauso von hohen natürlichen Wänden gesäumt wie bisher;

aber linker Hand öffnete sich ein monströser Raum, unzählige Morgen weit, wo eine archaische Kraft die gewachsenen Onyxklippen zu einem Riesensteinbruch aufgebrochen und gespalten hatte. Weit hinein in die soliden Klippen grub sich diese titanische Höhlung, und ganz tief im Gedärm der Erde gähnten ihre untersten Löcher. Es war kein Steinbruch der Menschen, und die konkaven Seiten trugen yardbreit quadratisch klaffende Narben, die die Größe der hier von namenlosen Händen und Meißeln einst herausgehauenen Blöcke bezeugten. Hoch über dem Rand flatterten und krächzten gewaltige Raben, und ein vages Geschwirr in den unsichtbaren Tiefen kündete von Fledermäusen oder unnennbareren Erscheinungen, die die endlose Schwärze heimsuchten. Da stand Carter auf dem engen Weg im Zwielicht, vor sich den steinigen, abfallenden Pfad; rechter Hand hohe Onyxklippen so weit sein Blick reichte, und hohe Klippen zur Linken, die unmittelbar vor ihm zu jenem furchtbaren und nicht irdischen Steinbruch aufgerissen worden waren.

Ganz plötzlich brüllte der Yak, brach aus, drängte an Carter vorbei und stürmte panisch davon, bis er auf dem schmalen Weg nach Norden zu verschwand. Von seinen trommelnden Hufen hochgewirbelte Steine kollerten über die Kante des Steinbruchs und verloren sich ohne Aufschlaggeräusch in der Schwärze; aber Carter ignorierte die Gefahren des Engpfades, als er atemlos dem fliehenden Reittier hinterhereilte. Bald erhoben sich links wieder die gewohnten Klippen und preßten den Weg erneut zu einem schmalen Steig zusammen; und noch immer eilte der Reisende dem Yak hinterher, dessen große, tiefe Hufabdrücke Beweis für seine verzweifelte Flucht ablegten.

Einmal vermeinte er den Hufschlag des erschreckten Tieres zu hören, und diese Ermutigung verdoppelte seine Geschwindigkeit. Er legte ganze Meilen zurück, und allmählich verbreiterte sich der Weg vor ihm bis er wußte, daß er bald auf der kalten und gefürchteten Wüste im Norden herauskommen mußte. Die kahlen, grauen Flanken der fernen unbezwingbaren Gipfel traten jetzt über den Klippen rechter Hand wieder ins Blickfeld, und vor ihm lagen die Felsen und Blöcke eines offenen Areals, das fraglos einen Vorgeschmack auf die dunkle und grenzenlose Ebene gab. Und wieder dröhnte dieser Hufschlag in seinen Ohren, deutlicher als zuvor, doch diesmal merkte er, daß es sich nicht um das erschreckte Hufgetrommel seines fliehenden Yak handelte. Das Trommeln klang unbarmherzig und entschlossen, und es kam von hinten.

Carters Verfolgung des Yak schlug jetzt in eine Flucht vor etwas Unsichtbarem um, denn obwohl er es nicht wagte, über die Schulter zu blicken, spürte er doch, daß die Erscheinung hinter ihm nichts Heilsames oder Benennbares sein konnte. Der Yak mußte es zuerst gehört oder gefühlt haben, und Carter sträubte sich vor der Frage, ob dies Ding ihm aus dem Bereich der Menschen nachgefolgt oder jene schwarze Steinbruchgrube heraufgetaumelt war. Unterdessen waren die Klippen zurückgeblieben, so daß die aufziehende Nacht über eine große Wüste aus Sand und gespenstischen Felsen hereinbrach, in der sich alle Pfade verloren. Er vermochte die Hufabdrücke seines Yak nicht zu finden, doch hinter ihm ertönte unaufhörlich dies widerliche Klopfen; es vermischte sich ab und zu mit etwas, das er für ein titanisches Rappen und Schwirren hielt. Daß er an Boden verlor, schien ihm unheilvoll klar, und er wußte, er war in dieser zerrissenen und verdammten Wüste aus sinnlosen Felsen und unbetretenem Sand hoffnungslos verloren. Nur die entfernten und unwegsamen Gipfel vermittelten ihm ein vages Gefühl für Richtung, und auch sie verschwammen, als das graue Zwielicht schwand und die sieche Phosphoreszenz an seine Stelle trat.

Dann sprang ihm im dunkelnden Norden trübe und verwischt etwas Schreckliches ins Auge. Sekundenlang hatte er es für einen Zug schwarzer Berge gehalten, doch jetzt erkannte er, daß es noch etwas anderes war. Die Phosphoreszenz der brütenden Wolken enthüllte es deutlich, und jenseits aufglühende Dämpfe ließen sogar Teile davon im Schattenriß hervortreten. Wie weit entfernt es lag, konnte er nicht sagen, aber es muß sehr weit gewesen sein. Es ragte Tausende Fuß hoch, wand sich in einem großen, konkaven Bogen von den grauen, unbegehbaren Gipfeln bis zu den ungeahnten westlichen Räumen und war einstmals wirklich eine Kette mächtiger Onyxberge gewesen. Aber jetzt waren diese Berge keine Berge mehr, denn eine größere Hand alsdie des Menschen hatte an sie gerührt. Stumm kauerten sie dort hoch über der Welt, gleich Wölfen oder Ghoulen, von Wolken und Nebeln gekrönt und die Geheimnisse des Nordens auf ewig bewahrend. In einem weiten Halbkreis kauerten sie, diese hundeartigen, zu monströsen Wachstatuen behauenen Berge, und ihre rechten Arme erhoben sich drohend gegen das Menschengeschlecht.

Es lag nur am flackernden Licht der Wolken, daß sich ihre pockennarbigen Doppelköpfe zu bewegen schienen, aber als Carter weiterstolperte, sah er von ihren Schattenkappen große Gestalten aufsteigen, deren Bewegung keine Sinnestäuschung war. Geflügelt und schwirrend wuchsen diese Formen mit jedem Augenblick, und der Reisende ahnte, daß das Ende seiner strauchelnden Flucht nahte. Es waren nicht irgendwelche auf der übrigen Erde oder im Traumland bekannten Vögel oder Fledermäuse, denn ihre Größe übertraf die des Elefanten, und ihre Köpfe waren die von Pferden. Carter wußte, sie mußten die Shantak-Vögel der üblen Gerüchte sein, und er wunderte sich nicht länger, welch schlimme Wächter und namenlose Posten die Menschen die boreale Felswüste meiden ließen. Und als er in endgültiger Resignation stehenblieb, wagte er es schließlich, nach hinten zu sehen, wo tatsächlich der untersetzte, schieläugige Kaufmann mit dem schlechten Ruf grinsend auf einem ausgemergelten Yak trabte und eine verderbliche Horde boshaft äugender Shantaks anführte, deren Schwingen noch immer vom Reif und Salpeter der unterirdischen Gruben klebten.

Obwohl ihn fabulöse und hippocephalisch geflügelte Alpträume umringten, die sich in großen, gottlosen Kreisen drängten, verlor Carter nicht die Besinnung. Hoch und schrecklich türmten sich diese titanischen Drachen vor ihm auf, während der schieläugige Händler von seinem Yak sprang und sich grinsend vor seinen Gefangenen stellte. Dann zwang er Carter, einen der abstoßenden Shantaks zu besteigen und half ihm hinauf, als seine Vernunft mit seinem Ekel rang. Das Aufsitzen gestaltete sich sehr schwierig, denn der Shantak-Vogel besitzt Schuppen anstelle von Federn, und diese Schuppen sind äußerst schlüpfrig. Als er oben saß, hopste der Mann hinter ihn und überließ es einem der unglaublichen Vogelkolosse, den ausgezehrten Yak nach Norden zum Ring der gemeißelten Berge zu führen.

Nun erfolgte ein gräßlicher Wirbel durch eisige Räume, endlosaufwärts und nach Osten, den dürren, grauen Flanken jener unbegehbaren Berge zu, hinter denen Leng sein sollte. Hoch über den Wolken flogen sie dahin, bis zuletzt jene fabelhaften Gipfel unter ihnen lagen, welche die Menschen Inquanoks nie geschaut haben und die ewiger Nebel verbirgt. Carter machte sie sehr deutlich aus, als sie unter ihm vorbeizogen, und entdeckte auf ihren höchsten Gipfeln seltsame Höhlen, die ihn an jene auf dem Ngranek gemahnten; aber er befragte seinen Überwältiger nicht nach diesen Dingen, da er bemerkte, daß sowohl der Mann wie der pferdeköpfige Shantak eine sonderbare Furcht verrieten, nervös daran vorbeieilten und so lange Zeichen großer Anspannung preisgaben, bis die Höhlen hinter ihnen lagen.

Der Shantak verminderte jetzt die Flughöhe, so daß unter der Wolkendecke eine graue, unfruchtbare Ebene sichtbar wurde, auf der in weiten Abständen voneinander kleine, schwache Feuer glommen. Als sie tiefer flogen tauchten gelegentlich einsame Granithütten und bleiche Steindörfer auf, in deren winzigen Fenstern fahles Licht geisterte. Und diese Hütten und Dörfer entsandten ein schrilles Pfeifengekreisch und ein ekelhaftes Klapperngerassel, das sofort die geographischen Vermutungen der Leute von Inquanok bewies. Denn Reisende haben solche Töne schon früher vernommen und wissen, daß sie nur von jenem kalten, wüsten Plateau tönen, das getroste Leute nie aufsuchen, jenem verhexten Ort des Übels und Mysteriums mit Namen Leng.

Um die matten Feuer tanzten merkwürdige Gestalten, und Carter war gespannt, was für Wesen dies sein mochten; denn verständige Leute sind nie in Leng gewesen, und außer seinen von fern geschauten Feuern und Steinhütten war der Ort unbekannt. Schleppend und unbeholfen hüpften jene Gestalten und mit übelanzusehenden Verdrehungen und Verrenkungen; und Carter verwunderte sich weder über die monströse Bosheit, die ihnen vage Legenden zuschrieben noch über die Furcht, die das gesamte Traumland vor ihrem verabscheuungswürdigen, gefrorenen Plateau hegt. Als der Shantak noch tiefer ging, gewann die Widerwärtigkeit der Tänzer eine gewisse höllische Vertrautheit; und der Gefangene strengte die Augen an und zermarterte sein Gehirn nach Hinweisen, wo er solchen Kreaturen schon begegnet war.

Sie sprangen umher, als hätten sie Hufe anstelle von Füßen und schienen eine Art Perücke oder Kopfputz mit kleinen Hömern zu tragen. Weitere Kleidungsstücke fehlten, dafür wuchs den meisten ein dichtes Fell. Hinten baumelten gnomische Schwänze, und als sie emporblickten, sah er ihre exzessiv breiten Münder. Da wußte er, wer sie waren, und daß sie keineswegs irgendwelche Perücken oder Kopfputze trugen. Denn die kryptischen Wesen von Leng gehörten derselben Rasse an, wie die unbehaglichen Kaufleute von den schwarzen Galeeren, die in Dylath-Leen mit Rubinen handelten; jene nicht ganz menschlichen Kaufleute, die die Sklaven der monströsen Mondwesen sind! Es handelte sich tatsächlich um die gleichen dunklen Wesen, die Carter vor so langem auf ihrer stinkenden Galeere verschleppt hatten, und deren Genossen er auf den schmutzigen Kais jener verdammten lunaren Stadt in hellen Scharen hatte umhergetrieben werden sehen; die dünneren wurden harter Arbeit zugeführt und die fetteren in Lattenkisten fortgeschafft, um andere Bedürfnisse ihrer polypenhaften und amorphen Herren zu befriedigen. Nun erkannte er, wo solch zweifelhafte Kreaturen herstammten und erschauerte bei dem Gedanken, daß Leng diesen formlosen Scheusalen vom Mond bekannt sein mußte.

Doch der Shantak flog vorüber an den Feuern, Steinhütten und den nicht mehr menschlich zu nennenden Tänzern und schwebte über sterile Berge aus grauem Granit und trübe Wüsteneien aus Gestein, Eis und Schnee. Der Tag zog herauf, und die Phosphoreszenz tiefhängender Wolken wich dem dunstigen Zwielicht dieser nördlichen Welt, und noch immer flog der nichtswürdige Vogel bedeutungsvoll durch die Kälte und Stille. Gelegentlich sprach der Schieläugige mit seinem Reittier in einer hassenswert gutturalen Sprache, und der Shantak antwortete mit kichernden Lauten, die in den Ohren schmerzten wie das Kratzen auf einer Mattglasscheibe. Die ganze Zeit über stieg das Land an, und schließlich gelangten sie zu einem windgepeitschten Tafelland, das das ultimate Dach einer verdammten und unbewohnten Welt zu sein schien. Dort, einsam in Schweigen, Dämmer und Kälte, erhoben sich die unkeuschen Steine eines hingekauerten, fensterlosen Bauwerks, um das ein Zirkel kruder Monolithen stand. Der gesamten Anlage fehlte alles Menschliche, und Carter schloß aus alten Legenden, daß er wahrhaftig zu der fürchterlichsten und sagenhaftesten aller Stätten gekommen war, dem abgelegenen und prähistorischen Monasterium, worin gefährtenlos der unbeschreibbare Hohepriester haust, der eine gelbe Seidenmaske vor dem Gesicht trägt und zu den Anderen Göttern und ihrem kriechenden Chaos Nyarlathotep betet.

Der ekelhafte Vogel landete jetzt, und der Schieläugige hopste von seinem Rücken und half dem Gefangenen beim Absteigen. Das Ziel seiner Gefangennahme stand Carter jetzt unmißverständlich vor Augen; denn der schieläugige Kaufmann handelte eindeutig als Agent der finsteren Mächte, und es drängte ihn, einen Sterblichen vor seinen Meister hinzuschleppen, der in seiner Vermessenheit darauf ausgegangen war, den unbekannten Kadath zu finden und im Angesicht der Großen in ihrem Onyxschloß ein Gebet zu sprechen. Es schien wahrscheinlich, daß dieser Kaufmann seine frühere Gefangennahme durch die Sklaven der Mondwesen veranlaßt hatte, und daß er nunmehr beabsichtigte das durchzuführen, was die rettenden Katzen vereitelt hatten; nämlich das Opfer zu irgendeinem schrecklichen Stelldichein mit dem monströsen Nyarlathotep zu bringen, und darzutun, mit welcher Dreistigkeit die Suche nach dem unbekannten Kadath unternommen worden war. Leng und die kalte Wüste nördlich von Inquanok mußten sich in der Nähe der Großen befinden, und dort sind die Pässe zum Kadath wohl bewacht.

Der Schieläugige war kleinwüchsig, aber der große hippocephalische Vogel sorgte dafür, daß er Gehorsam fand; so folgte ihm Carter wohin er vorausging, und betrat den Kreis aufgerichteter Steine und den niedriggewölbten Torweg jenes fensterlosen Steinmonasteriums. Im Innern brannte kein Licht, doch der schlimme Kaufmann entzündete eine kleine Tonlampe mit morbiden Basreliefs, und trieb seinen Gefangenen unsanft vorwärts, durch Irrgärten enger, sich windender Korridore. An die Wände waren fürchterliche Szenen gemalt, älter als die Geschichte und in einem den Archäologen der Erde unbekannten Stil. Nach ungezählten Äonen leuchteten ihre Pigmente noch immer, denn die Kälte und Trockenheit des gräßlichen Leng bewahrt viele vorzeitliche Dinge. Carter nahm sie flüchtig im schummerigen Licht der schwankenden Lampe wahr und erschauerte bei der Geschichte, die sie erzählten.

Durch diese Fresken schritten Lengs Annalen; und die gehörnten, behuften und weitmäuligen Fastmenschlichen tanzten schädlich inmitten vergessener Städte. Es gab Szenen aus alten Kriegen, in denen Lengs Fastmenschlichen gegen die aufgedunsenen Purpurspinnen der angrenzenden Täler fochten; und es gab Szenen von der Ankunft der schwarzen Galeeren vom Mond und der freiwilligen Unterwerfung von Lengs Bewohnern unter die polypenartigen und amorphen Blasphemien, die aus den Schiffsbäuchen hervorhoppsten und zappelten und krabbelten. Sie verehrten diese glitschigen, gräulich-weißen Blasphemien als Götter, und beklagten sich auch nie, wenn die besten und fettesten ihrer Männer in den schwarzen Galeeren fortgeschafft wurden. Die monströsen Mondbestien errichteten ihren Stützpunkt auf einer zerklüfteten Insel im Meer, und Carter konnte den Fresken entnehmen, daß es sich dabei um nichts anderes handelte, als das namenlose Felseneiland, das er auf seiner Überfahrt nach Inquanok gesehen hatte; jener graue, verfluchte Fels, den Inquanoks Seefahrer meiden, und von dem ein abscheuliches Geheul durch die Nacht hallt.

Und diese Fresken zeigten auch den großen Seehafen und die Hauptstadt der Fastmenschlichen stolz und pfeilergetragen zwischen Klippen und basaltenen Kaianlagen und wunderbar mit hohen geweihten Stätten und gemeißelten Plätzen. Große Gärten und säulenbegrenzte Straßen führten von den Klippen und von jedem der sechs sphinxgekrönten Tore auf eine gewaltige Zentralplaza, und auf dieser Plaza bewachte ein Paar geflügelter, kolossaler Löwen den Beginn einer subterranen Treppe. Immer wieder waren diese Löwen abgebildet, deren mächtige Flanken aus Diorit im grauen Zwielicht des Tages und in der wolkigen Phosphoreszenz der Nacht glitzerten. Und während Carter an ihren oft wiederholten Bildern vorüberstolperte, begriff er zuletzt, was sie in Wahrheit darstellten und um welche Stadt es sich handelte, in der die Fastmenschlichen so lange Zeiträume vor der Ankunft der schwarzen Galeeren regiert hatten. Ein Irrtum war ausgeschlossen, denn die Legenden des Traumlandes sind generös und verschwenderisch:

Unzweifelhaft verkörperte diese vorzeitliche Stadt keinen geringeren Ort als das Sagenreiche Sarkomand, dessen Ruinen bereits eine Million Jahre gebleicht hatten, ehe der erste echte Mensch das Licht erblickte, und dessen titanische Zwillingslöwen ewig die Stufen bewachen, die hinab vom Traumland in den Großen Abgrund führen.

Andere Ansichten präsentierten die hageren, grauen Bergkro

nen, die Leng von Inquanok abtrennen, sowie die monströsen Shantak-Vögel, die ihre Horste auf halbhoch gelegenen Simsen bauen: Und sie zeigten ebenfalls die merkwürdigen Höhlen. dicht unter den obersten Gipfelzinnen, und wie sogar die kühnsten der Shantaks kreischend vor ihnen davonfliegen. Carter hatte diese Höhlen im Überfliegen gesehen und ihre Ähnlichkeit mit den Höhlen am Ngranek festgestellt. Jetzt wußte er, daß mehr als nur eine rein zufällige Ähnlichkeit vorlag, denn auf jenen Bildern figurierten ihre fürchterlichen Bewohner; und diese Fledermausflügel, gekrümmten Homer, stachelbewehrten Schwänze, Greifklauen und gummiartigen Leiber bedeuteten ihm nichts Unbekanntes. Er hatte diese stummen, flatternden und zupackenden Kreaturen schon getroffen; diese hirnlosen Wächter des Großen Abgrundes, vor denen sich selbst die Großen fürchten, und die nicht Nyarlathotep sondern den eisgrauen Nodens als ihren Herren anerkennen. Denn sie waren die gefürchteten Dunkel-Dürren, die niemals lachen oder lächeln, weil ihnen Gesichter fehlen und die unablässig in der Finsternis zwischen dem Tal von Pnoth und den Zugängen zur Außenwelt durch den Äther torkeln.

Der schieläugige Kaufmann hatte Carter jetzt in eine große Gruft gestoßen, deren Wände schockierende Basreliefs zierten, und deren Zentrum eine gähnende, kreisrunde Grube einnahm, die ein Ring aus sechs verderblich befleckten Steinaltären umschloß. Es brannte kein Licht in dieser gewaltigen übelriechenden Krypta, und die kleine Lampe des sinistren Kaufmannes leuchtete so matt, daß sich Einzelheiten nur allmählich aus dem Dunkel schälten. Am gegenüberliegenden Ende erhob sich eine hohe steinerne Estrade, zu der fünf Stufen hinaufrührten, und dort saß auf goldenem Thron eine plumpe Gestalt in gelber, rotdurchwirkter Seidenrobe und mit einer gelben Seidenmaske vor dem Gesicht. Diesem Wesen gab der schieläugige Kaufmann gewisse Handzeichen, und der Lauerer im Dunkel antwortete, indem er mit seidenumhüllten Pfoten eine abstoßend geschnitzte Elfenbeinflöte hob und gewisse ekelerregende Töne unter seiner fließenden Maske hervorblies. Dies Gespräch währte eine Zeit lang, und irgend etwas im Klang jener Flöte und in den Ausdünstungen des stinkenden Ortes empfand Carter als abscheulich vertraut. Er mußte an eine entsetzliche, roterleuchtete Stadt denken und an eine empörende Prozession, die einst durch ihre Straßen zog; daran, und an einen schauderhaften Aufstieg durch die dahinterliegende lunare Landschaft, bevor der erlösende Ansturm der freundlichen Katzen von der Erde erfolgte. Er wußte, daß die Kreatur auf der Estrade ohne Zweifel der unbeschreibbare Hohepriester sein mußte, dem die Legende so teuflische und abnormale Möglichkeiten nachwispert, aber er schrak vor dem Gedanken zurück, was jener verabscheuungswürdige Hohepriester sein könnte.

Dann verschob sich die durchwirkte Seide geringfügig über einer der gräulich-weißen Pfoten, und Carter begriff, was der widerliche Hohepriester war. Und in dieser grausen Sekunde trieb ihn blinde Furcht zu etwas, was ihm seine Vernunft würde verweigert haben, denn sein angegriffenes Gemüt war nur von dem einen einzigen Gedanken erfüllt, dem zu entkommen, was auf jenem goldenen Thron hockte. Er wußte, daß sich zwischen ihm und dem Tafelland draußen hoffnungslose Steinlabyrinthe wanden, und daß selbst auf dem Tafelland noch immer der verderbliche Shantak wartete; trotz alledem beherrschte seinen Geist nur das eine drängende Bedürfnis, von dieser sich schlangelnden, in Seide gehüllten Monstrosität fortzukommen.

Der Schieläugige hatte die seltsame Lampe auf einem der hohen und lasterhaft befleckten Altarsteine an der Grube abgestellt, und sich ein wenig nach vorn begeben, um dem Hohepriester Handzeichen zu machen. Carter, bisher völlig passiv, versetzte jetzt dem Mann mit der ganzen, wilden Kraft der Angst einen so gewaltigen Stoß, daß das Opfer sofort in den gähnenden Schlund stürzte, der Gerüchten nach bis in die höllischen Gewölbe von Zin hinabreichen soll, wo Gugs im Finstern Ghasts jagen. Fast gleichzeitig riß er die Lampe vom Altar und schoß hinaus in das Freskenlabyrinth; er rannte bald hierhin, bald dorthin, wie es der Zufall bestimmte, und versuchte weder an das verstohlene Watscheln formloser Pfoten auf den Steinen hinter sich, noch an das Geringel und Gekrauche in zurückliegenden, lichtlosen Korridoren zu denken.

Schon nach wenigen Augenblicken bereute er seine unbedachte Hast, und wünschte, er hätte versucht, die Fresken zurückzuverfolgen, die er auf dem Hinweg passiert hatte. Gewiß, sie waren so konfus und derart häufig doppelt vorhanden gewesen, daß sie ihm keine große Hilfe bedeutet hätten, nichtsdestoweniger bedauerte er den verabsäumten Versuch. Diejenigen Fresken, die er jetzt erblickte, wirkten sogar noch entsetzlicher als jene, die er zuerst sah, und er wußte, daß er sich nicht in den Korridoren befand, die hinausführten. Mit der Zeit glaubte er sich vor Verfolgung ziemlich sicher und verlangsamte seinen Schritt; doch kaum hatte er halbwegs erleichtert aufgeatmet, da drohte ihm neuerliche Gefahr. Seine Lampe erlosch allmählich, und bald würde er im Pechschwarzen stehen, blind und orientierungslos.

Als das Licht vollends ausging, tastete er sich langsam durch die Finsternis und flehte die Großen um jede Hilfe an, die sie ihm nur gewähren mochten. Manchmal fühlte er den Steinboden ansteigen oder abfallen, und wann immer es ihm gelang, eine Abzweigung oder die Einmündung eines Seitenganges zu erfühlen, wählte er stets den Weg mit dem geringeren Gefälle. Er argwöhnte trotzdem, daß er sich im wesentlichen abwärts bewegte; und der gruftartige Geruch und die Verkrustungen auf den schmierigen Wänden und am Boden kündigten ihm gleichviel an, daß er sich tief in Lengs heilloses Tafelland eingrub. Doch eine Ankündigung der Sache, die zuletzt erfolgte, kam nicht; nur die Sache selbst, mit all ihrem Schrecken und Grausen und atemraubenden Chaos. Eben noch tastete er sich behutsam über den glitschigen Boden eines fast flachen Platzes, und im nächsten Augenblick raste er schon schwindelig im Dunkel eine Höhlung hinab, die schier senkrecht gewesen sein mußte.

Über die Dauer dieses gräßlichen Rutsches erlangte er nie Klarheit, er schien jedoch Stunden irrsinniger Übelkeit und ekstatischen Wahnsinns zu währen. Dann merkte er, daß er still ruhte und die phosphoreszierenden Wolken einer nördlichen Nacht ihren kränklichen Schein über ihn gössen. Ringsum verfielen bröckelige Mauern und geborstene Säulen, und das Pflaster, auf dem er lag, war mit vereinzelten Grashalmen durchsetzt und von zahlreichen Sträuchern und Wurzeln aufgebrochen. Hinter ihm ragte ein Basaltkliff unermeßlich hoch und lotrecht auf; seine Flanke wies außer abstoßenden, skulpturartigen Darstellungen noch einen bogenförmigen und gemeißelten Eingang in die innere Schwärze auf, aus der er gekommen war. Voraus erstreckten sich Doppelreihen aus Pfeilern und die Fragmente und Piedestale von Säulen, die von einer breiten und entschwundenen Straße zeugten; und die Urnen und Bassins entlang des Weges verrieten ihm, daß es eine prächtige Gartenstraße gewesen war. An ihrem weitentfernten Ende schwärmten die Säulen aus, um einen gewaltigen Rundplatz zu markieren, und in diesem offenen Zirkel trat unter den totenbleichen Nachtwolken gigantisch ein Paar monströser Wesen hervor. Riesige geflügelte Löwen aus Diorit waren es, mit Schwärze und Schatten zwischen sich. Volle zwanzig Fuß hoch reckten sie ihre grotesken und unversehrten Häupter und brummten verächtlich auf die sie umgebenden Ruinen herab. Und Carter wußte sehr wohl, was sie sein mußten, denn die Legende berichtet nur von einem solchen Paar. Sie waren die unwandelbaren Wächter des Großen Abgrundes, und diese dunklen Ruinen in Wahrheit das uranfängliche Sarkomand.

Carters erste Handlung bestand darin, den Torbogen im Kliff mit herabgestürzten Blöcken und befremdlichen Trümmerstücken zu schließen und zu verbarrikadieren. An einem Verfolger aus Lengs hassenswertem Monasterium war ihm nichts gelegen, denn am vorausliegenden Weg würden ohnehin genug neue Gefahren lauem. Wie man von Sarkomand in die bewohnten Gegenden des Traumlandes gelangte, darüber besaß er keine Kenntnis; auch würde ihm ein Abstieg in die Grotten der Ghoule nur wenig einbringen, denn er wußte ja, daß sie nicht besser informiert waren als er. Die drei Ghoule, die ihm durch die Stadt der Gugs zur Außenwelt geholfen hatten, hatten selber nicht gewußt, wie sie ihren Rückweg über Sarkomand nehmen sollten und geplant, sich bei erfahrenen Händlern in. Dylath-Leen danach zu erkundigen. Er mochte nicht daran denken, das unterirdische Reich der Gugs erneut aufzusuchen und noch einmal das Risiko jenes höllischen Turmes von Koth mit seinen Zyklopenstufen zum Verwunschenen Wald auf sich zu nehmen;

trotzdem spürte er, daß ihm dieser Weg nicht erspart bliebe, falls alles andere fehlschlug. Über Lengs Plateau, jenseits des einsamen Monasteriums, wagte er sich nicht ohne Unterstützung;

denn die Sendboten des Hohepriesters mußten zahlreich sein, und am Ende der Reise stünden gewiß die Shantaks oder andere Dinge, mit denen es fertig zu werden galt. Fände er ein Boot, könnte er vorbei an dem zerklüfteten und gräßlichen Felsen im Meer nach Inquanok zurücksegeln, denn die vorzeitlichen Fresken im Labyrinth des Monasteriums hatten ihm gezeigt, daß dieser fürchterliche Ort nicht weit von Sarkomands Basaltkais liegt. Doch in dieser seit Äonen verödeten Stadt ein Boot zufinden, stand nicht zu erwarten und daß er sich je eines zimmern könnte, schien unwahrscheinlich.

Diese Gedanken bewegten Randolph Carter, als ein neuer Eindruck seine Sinne bestürmte. Die ganze Zeit über hatte sich vor ihm die mächtige, leichnamhafte Weite des sagenhaften Sarkomand hingestreckt, mit schwarzen, geknickten Pfeilern und zerfallenden sphinxgekrönten Toren und Titanenblöcken und monströsen, geflügelten Löwen im siechen Glühen der luminösen Nachtwolken. Nun fiel ihm rechterhand in großer Entfernung ein Glühen auf, das keine Wolken zu erklären vermochten, und er begriff, daß er im Schweigen dieser toten Stadt nicht allein war. Das Glühen pulsierte stärker und schwächer und flackerte in einer grünlichen Färbung, die nicht zur Beruhigung des Beobachters beitrug. Und als er näherkroch, die ruinenbedeckte Straße hinab und durch enge Spalten zwischen niedergebrochenen Mauern, stellte er fest, daß dicht bei den Kais ein Lagerfeuer brannte, um das sich zahlreiche vage Gestalten drängten, und über allem lastete ein lethaler Geruch. Dahinter schwappte das ölige Hafenwasser gegen ein ankerndes, großes Schiff, und Carter stockte in blankem Entsetzen, als er merkte, daß dies Schiff wahrhaftig eine der gefürchteten schwarzen Galeeren vom Mond war.

Dann, als er gerade von der abscheulichen Flamme wegkriechen wollte, beobachtete er unter den vagen, dunklen Formen eine Bewegung und vernahm einen absonderlichen und unverwechselbaren Laut. Es war das erschreckte Fiepen eines Ghouls, und im nächsten Moment schwoll es zu einem wahren Angstgeheul an. In der Sicherheit der Schatten monströser Ruinen ließ Carter seine Neugier über seine Furcht triumphieren und kroch vorwärts, anstatt sich zurückzuziehen. Einmal wand er sich bäuchlings wie ein Wurm über eine offene Straße, und ein andermal wieder mußte er aufstehen, um zwischen Bergen von Marmorsplittem jedes Geräusch zu vermeiden. Doch es gelang ihm immer unentdeckt zu bleiben, so daß er binnen kurzem hinter einem titanischen Pfeiler einen Platz gefunden hatte, von dem aus er den ganzen grünerleuchteten Schauplatz überblicken konnte. Um ein gräßliches, mit anstößigen Stämmen lunarer Pilze genährtes Feuer kauerte ein stinkender Kreis der krötenähnlichen Mondbestien und ihrer beinahe menschlichen Sklaven. Manche dieser Sklaven erhitzten in den leuchtenden Flammen merkwürdige Eisenspeere, mit deren weißglühenden Spitzen sie in Abständen drei straffgefesselte Gefangene peinigten, die sich vor den Anführern des Trupps auf dem Boden krümmten. Aus den Bewegungen ihrer Tentakel konnte Carter schließen, daß die stumpfschnauzigen Mondbestien das Spektakel mächtig genossen, und er erschrak zutiefst, als er mit einemmal das rasende Gefiepe wiedererkannte und wußte, daß es sich bei den gefolterten Ghoulen nur um die getreuen Drei handeln konnte, die ihn sicher aus dem Abgrund geführt hatten und anschließend vom Verwunschenen Wald aufgebrochen waren, um Sarkomand und das Tor zu ihren heimischen Tiefen zu finden.

Die übelriechenden Mondbestien hockten in großer Zahl um jenes grünliche Feuer, und Carter sah ein, daß er im Augenblick nichts zur Rettung seiner früheren Verbündeten unternehmen durfte. Wie die Ghoule in Gefangenschaft geraten sein mochten, dafür fehlte ihm jede Erklärung; doch stellte er sich vor, daß die grauen, krötenhaften Blasphemien erfahren hatten, wie sich die Ghoule in Dylath-Leen nach dem Weg nach Sarkomand erkundigten und es für nicht wünschenswert erachtet hatten, daß sie sich dem hassenswerten Plateau von Leng und dem unbeschreibbaren Hohepriester so weit näherten. Einen Moment lang überlegte er, was zu tun sei, und entsann sich daran, wie dicht am Tor zum schwarzen Königreich der Ghoule er sich aufhielt. Bestimmt war es das klügste, nach Osten zum Platz der Zwillingslöwen zu kriechen und geradewegs in den Schlund abzusteigen, wo ihn gewiß keine ärgeren Schrecken erwarteten als jene hier oben, und wo er schon bald auf Ghoule treffen könnte, die darauf brannten, ihre Brüder zu retten und vielleicht die Mondbestien von der schwarzen Galeere auszutilgen. Es fuhr ihm durch den Sinn, daß das Portal, ebenso wie auch andere Tore zum Abgrund, von einer Horde der Dunkel-Dürren bewacht sein könnte; aber jetzt fürchtete er diese gesichtslosen Kreaturen nicht. Er hatte nämlich in Erfahrung gebracht, daß sie durch heilige Verträge mit den Ghoulen verbündet sind, und der Ghoul, der Pickman war, hatte ihm beigebracht, ein Losungswort zu plappern, das sie verstanden.

So robbte Carter ein zweites Mal heimlich durch die Ruinen und kroch langsam dem großen Zentralplatz und den geflügelten Löwen zu. Es wurde eine kitzlige Angelegenheit, doch die Mondbestien zeigten sich angenehm beschäftigt, und sie überhörten die leisen Geräusche, die er zweimal zwischen den verstreuten Steinen verursachte. Endlich erreichte er den freien Platz und bahnte sich seinen Weg durch die verkrüppelten Bäume und Ranken, die dort gediehen waren. Über ihm drohten im kranken Glanz der phosphoreszierenden Nachtwolken schrecklich die gigantischen Löwen, aber er näherte sich ihnen mannhaft weiter und schlich sofort zu ihrer Vorderseite, weil er wußte, daß er hier die mächtige Finsternis finden würde, die sie bewachen. Zehn Fuß voneinander getrennt duckten sich die hohngesichtigen Bestien aus Diorit, brütend aufZyklopenpiedestalen, deren Seiten zu furchterregenden Basreliefs ausgemeißelt waren. Zwischen ihnen lag ein Fliesenhof, dessen Zentrum einst Onyxbalustraden umfriedeten. In der Mitte dieses Areals öffnete sich eine schwarze Grube, und Carter entdeckte schnell, daß er tatsächlich an dem gähnenden Schlund stand, dessen verkrustete und modrige Steinstufen hinab zu den Krypten des Alptraums führen.


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