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anoubi schrieb am 28.10. 2006 um 21:27:58 Uhr über

narziss

In der Tat gab es viele, besonders unter der Jugend, die in Dorian Gray die wahre Verkörperung eines Typus sahen oder zu sehen glaubten, von dem sie oft in Eton oder Oxford geträumt hatten, eines Typus, der etwas von der Kultur des Gelehrten mit der ganzen Anmut, Vornehmheit und den vollkommenen Manieren eines Weltmannes verschmolz. ... Und sicherlich war für ihn das Leben die erste, größte der Künste, und alle übrigen schienen ihm nur eine Vorbereitung dafür zu sein. Die Mode, durch die das wirklich Phantastische für einen Augenblick Allgemeingut wird, und das Dandytum, das einen Versuch darstellt, die absolute Modernität der Schönheit zu bezeugen, schlugen natürlich ihren Zauber um ihn. Seien Art sich zu kleiden, und die besonderen Stile, die er von Zeit zu Zeit annahm, übten Einfluß auf die Elegants der Mayfair-Bälle und des Pall-Mall-Klubs aus, die ihn in allem, was er tat kopierten. ... Die Verehrung der Sinne ist oft und mit sehr viel Recht geschmäht worden, da die Menschen instinktiv ein natürliches Angstgefühl vor Leidenschaften und Empfindungen haben, die ihnen stärker erscheinen, als sie selber sind, und die sie mit den weniger hoch organisierten Daseinsformen zu teilen sich bewußt sind. Jedoch erschien es Dorian Gray, daß die wahre Natur der Sinne niemals verstanden worden sei und daß sie nur wild und tierisch blieben, weil die Menschen nur immer strebten, sie durch Unterdrückung zu brechen oder durch Schmerzen abzutöten, anstatt danach zu trachten, sie zu den Elementen einer neuen Vergeistigung zu erheben, deren vorherrschender Charakterzug ein neuer Sinn für die Schönheit sein sollte. ... Ja, ein neuer Hedonismus mußte kommen, der das Leben neu erschuf und vor jenem strengen, häßlichen Puritanertum errettete, das in unseren Tagen seine sonderbare Auferstehung erlebt. ... Von dem Asketismus, der die Sinne abtötet, wie auch von der gemeinen Verworfenheit, die sie abstumpft, sollte er nichts enthalten.

Oscar Wilde: »Das Bildnis des Dorian Gray«

Als man begann, uns mit Sie anzureden, als die Kraft versuchte, sich nach außen zu wenden - was waren das doch für Kerle, mit denen wir zusammen waren, ein Kerl jeder einzelne! ... Damals wollten wir nicht mehr Seeräuber, Trapper und Pelzjäger werden, sondern Minister, Generäle, Bankdirektoren, Dichter, Professoren und Handelsherren. Jeder Einzelne wollte aufs Ganze gehen. Ich höre es noch, wie der kleine Seebohm dieses Wort aussprach: »Exportkaufmann«. Da war das Erstaunen noch da, keine Kontore, keine Ziffern, keine Bilanzen, nein, nur das Klatschen der Wellen an den Kielen der Schiffe, Gold, Gewürze und Elfenbein, ferne Küsten mit großen farbigen Blüten und all dem bunten Dunst, der das Wunderbare verhüllt. Das waren ja keine Berufe, sondern echte, wirkliche Ideale, das durchaus Wesentliche und eigentlich Lebenswerte, von dem ein jeder ergriffen war.
Aber auch später noch! Heidelberger und Jenenser Studenten, Fähnriche mit Gesichtern wie junge Kriegsgötter über dem blutroten Kragen mit der breiten goldenen Kante.

Ernst Jünger: »Das abenteuerliche Herz. Erste Fassung

Die griechische Sage von Narziß hat, wie das Wort Narziß andeutet, direkt mit einer Gegebenheit menschlicher Erfahrung zu tun. Es kommt vom griechischen Wort narkosis oder Betäubung. Der Jüngling Narziß sah sein eigenes Spiegelbild im Wasser als eine andere Person. Diese Ausweitung seiner Selbst im Spiegel betäubte seine Sinne, bis er zum Servomechanismus seines eigenen erweiterten und wiederholten Abbilds wurde. Die Nymphe Echo warb um seine Liebe mit Bruchstücken seiner eigenen Worte, doch vergebens. Er war betäubt. Er hatte sich der Ausweitung seiner selbst angepaßt und war zum geschlossenen System geworden. ... Es ist vielleicht bezeichnend für unsere stark technische und daher narkotische Kultur, daß wir die Geschichte des Narziß lange Zeit nur so gedeutet haben, daß sie ein Verliebtsein in sich selbst bedeute.

Marshall McLuhan: »Die magischen Kanäle«

Die Ausweitung des eigenen Selbst, das geschlossene System und der Zustand des betäubt seins, erscheinen mir als wesentlich für das Verstehen jeder Gesellschaft, die in Kasten oder Klassen zerfällt. Die besser verdienenden Politiker z.B. reagieren auf die Probleme der Hartz-vier-Empfänger in genau diesem Betäubungszustand.



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