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Der mir angenehmste Bezirk an einem sonst ereignislosen Vormittag ist der Zuschauerraum der Wiener Staatsoper; ich werde dort geduldet indem ich ein guter Bekannter des Regieassistenten Mögglingen bin, den zwar auch kaum jemand kennt, wichtig ist indes, dass wir beide, Mögglingen und ich, dem Pförtner am Künstlereingang unverdächtig sind.
Heute aber, abgesehen von nicht weiter bemerkenswerten Verrichtungen auf der offenen Bühne, fand eine Chorprobe statt. Ein kleines indes hochqualifiziertes Ensemble. Die Partituren bestanden aus aneinandergeklebten Grafiken. Der Dirigent war Sklave eines alles übertönenden Metronoms. Es muss um hundertstel Sekunden gegangen sein und eine absurde, nur mathematisch begreifbare Polyrhythmik, ja die Sänger konnten sich nicht einmal mehr auf ihr Gehör verlassen und mussten vor manchen Einsätzen die Stimmgabel ans Ohr halten. Ergebnis dieser an lebendem Material vollzogenen Computerei war ein erstaunlicherweise nicht unlebendiges Stammtisch-Palavern und Streiten. Ich habe derlei, allerdings lässig improvisiert, schon oft vernommen.
Es war herzbeklemmend. In einer Welt, die Lebendes seziert, zerstückelt und wieder so zusammenfügt, dass nicht die kleinste Narbe mehr an die vorangegangene Folterung erinnert, in einer solchen Welt will ich nicht mehr leben.
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