»Auf der Spitze der Bajonette sitzt es sich auf Dauer recht unbequem.« (Talleyrand) Folglich bedarf Herrschaft, wenn sie das Stadium purer Nötigung und Erpresung überschreiten will, der Freiwilligkeit der Beherrschten. Herrschaft wird - nach Max Weber - geradezu definiert, daß die Sklaven willig im Joch gehen, ihre Herren und deren Zuchtmittel abgöttisch verehren. Das Mittel zur Herstellung dieses Zustandes nennt man gemeinhin: Ethik - ein logisch schlüssiges System von Normen, aus denen die Pflichten des einzelnen erwachsen. In der Zeit der Nationalstaaten war dementsprechend die Pflichtethik die herrschende Auffassung der Herrschenden. Von Kanzeln, Kanzleien, und Kathedern herab bis auf die Kasernenhöfen hallte der Donnerruf der Pflichten, denen zu genügen war. Die Pflicht gebiert den Helden: denjenigen, der unter Hintansetzung persönlicher Nachteile, ja unter Aufopferung seines Lebens der ethisch formulierten Pflicht gehorcht. In unserer Gegenwart indessen sind wir über den Zustand der Pflicht weit hinausgekommen - nämlich im Zustand der Schuld. Die Nachfahren der früheren Prediger der Pflicht sind von Pfaffen und Feldwebeln zu Staatsanwälten avanciert: sie produzieren über die Pflicht hinaus: Schuld und Verantwortung. Es geht nicht mehr darum, einer Pflicht zu gehorchen, sondern um die Aufdeckung von Verbrechen und deren Sühne. Gegen das ethische Gebot ist nämlich schon verstoßen worden, das Kind liegt schon im Brunnen, Jammer und Wehklage hebe an - und: die Verantwortung der Schuldigen, zu welcher sie gezogen werden müssen. Der Einzelne erschrickt, wenn ihm seine frischgebackene Schuld präsentiert und zur Verantwortung gezogen wird: doch haarklein wird ihm vorgerechnet, daß er die Schuld, die er begangen hat, schon vor seiner Freveltat nicht nur hätte erkennen können, sondern sogar hätte erkennen müssen !
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