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mcnep schrieb am 6.6. 2008 um 15:58:22 Uhr über

Sanitärauffangstreifen

Wie viele Charakteristika der DDR-Alltagskultur, die heutzutage von OstalgikerInnen in den Rang von Leuchtfeuern der Menschheitsgeschichte erhoben werden, ist auch das Rädedet ursprünglich ein aus der Erfahrung von Mangel- und Mißwirtschaft geborener Behelf gewesen. Während der gesamten DDR-Geschichte herrschte eine große Knappheit an Intimtextilien, die sich die seit dem Marshall-Plan cameliagesättigte Westfrau kaum ausmalen kann. Slipeinlagen, in der sozialistischen Technokratisierungssprache als 'Sanitärauffangstreifen' bezeichnet, waren eine schnell vergriffene Bückware oder zu überhöhten Preisen in Intershops erhältlich. Unterwäsche, die hierdurch in größerer Menge benötigt wurde, war ebenfalls knapp, und häufiges Waschen der Textilien mit Netto oder Spee hatte ihren baldigen Verschleiß zur Folge. Als Reaktion darauf behalfen sich Arbeiterinnen des Meissner Porzellanmanufaktur ab Mitte der 50er Jahre mit einer Vorrichtung, die sie dem Tropfenfänger der Tee- und Kaffeekannen der bürgerlichen Epoche abgeschaut hatten: Jene kleinen, meist walzenförmigen Gebilde aus Porzellan oder aus Zellstoff zum Einmalgebrauch, die unter dem Ausguß angebracht werden und den letzten, einem Naturgesetz gleich austretenden Tropfen aufnehmen. Anfangs ein verschämter Notbehelf, entspann sich im bekannt sexualfreundlichen Klima der DDR bald ein begeisterter Wettstreit und Tauschhandel unter den Benutzerinnen, die das Rädedet - ein Kunstwort aus 'Räsde drogge dittsche' - kunstvoll in allen möglichen Formen und Materialien zusammenmontierten, wobei sich seit Ende der 60er Jahre die Form des Sphaeroids und textile Werkstoffe durchsetzten. Das Rädedetbasteln war längst nicht mehr nur sanitäre Notwendigkeit, es bot auch eine kleine Flucht aus dem von Entbehrungen und Unfreiheit geprägten Alltag in einem grauen Überwachungsstaat und dazu die Chance auf eine kleine Aufbesserung des Einkommens: Eine geschickte Rädedetnäherin konnte bis zu hundert Auffangkugeln am Tag fertigen; so kamen schnell am Monatsende bis zu 200 Ostmark zusammen, die dann im Intershop gegen ein Paket vollwertiger Einlagen getauscht wurden.


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