Juden

Sie studierte das Judentum. Hatte aber nicht den inneren Abstand mit Dritten über etwas anderes als über die Judenfrage zu sprechen. Nicht dass sie mich mit Informationen überschüttet hätte, nur die pure Emotion ließ sie raus. Und dazu brauchte sie einen Zuhörer. Aufzustehn erschien mir unhöflich. Das Gespräch abzubrechen, traute ich mir noch weniger. Also, ja, mmh und achso waren die einzigen Interventionen, die ich mir zugestand. Irgendwann tat es mir dann doch leid, so gar nichts über ihr studium zu erfahren und nur ihr Frust-Klo zu sein. Als ich das signalisierte, war es für sie eindeutig: Ich konnte nur einer von diesen Antisemiten sein. Wut macht offensichtlich nicht nur blind sondern auch taub. Vielleicht hätte ich eher den Würgesatz »Ja, du hast recht.« und »Ich kann dich verstehen.« in Anschlag bringen sollen. Aber ich hatte an diesem Tag keine Lust, mehr als nur »Ja.« zu sagen. Dass sie recht hat, weiss sie selbst. Und verstanden hab ich sie nicht: Sie hat mir nur Emotion aber keine Information rüber bringen können. Und warum sie an diesem Tag so aufgeregt war. Ich weiß nicht, woran sie sich in dem Augenblick erinnert hat, dass sie einen Anlass brauchte, um schreien zu können.