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wuming schrieb am 20.8. 2010 um 08:45:54 Uhr über

verstehen

Auf dem digitalen Highway, auf dem immer mehr Menschen ihre
Koordinaten setzen, etablieren sich Beziehungsgemeinschaften, die an
keine Lokalitaet gebunden sind. Das allenthalben vorherrschende
Zeichen @ traegt dabei allein die noetige Identifikationsleistung. Die
Teilhabe an solchen Gemeinschaften ist grundverschieden von allen
bisher gelaeufigen Formen der auf Schriftkultur beruhenden
Gemeinschaft, die von gegenseitigen Abhaengigkeiten getragen und durch
Schreibfaehigkeit ebenso wie durch Autoritaet und an industrielle
Produktionszyklen gebundene Arbeitsweisen gekennzeichnet sind.

In den Kommunikationsformen unserer Zeit ist die Bildungs- und
Schriftkulturkomponente nicht nur zurueckgedraengt, sie verzeichnet im
Vergleich zu anderen Kommunikationsformen den staerksten prozentualen
Rueckgang. In diesem neuen Rahmen muessen Staatsgebilde und
Verwaltungsapparate um ihr UEberleben kaempfen. Doch die dafuer
verwendeten Methoden und Instrumente der Schriftkultur haben sich
wiederholt als ineffizient erwiesen. Solche Feststellungen eruebrigen
keineswegs Fragen nach dem Verstehen von Schrift, von welcher Bildung
und Schriftkultur staerker abhaengen als von gesprochener Sprache.
Doch zu den neuen Fragestellungen dieses Buches gehoert auch, wie sich
Sprachverstehen vollzieht in einem neuen pragmatischen Rahmen, in dem
Sprache von den Beschraenkungen der Schriftkultur befreit ist.


Was ist Verstehen?

Die Anfaenge der Schrift hatten piktographischen Charakter. Der
Vorteil lag im direkten Zugang zur Welt, die unmittelbar und fuer alle
gleichermassen zu erkennen war; der Nachteil lag darin, dass der
Verallgemeinerungsgrad des Ausdrucks nur potentiell gegeben war. Die
Notation blieb auf die Dinge, weniger auf die Sprache bezogen. Diese
bildbezogene Sprache entwickelte sich analog zu einem relativ
einfachen Rahmen der Raum- und Zeitbezeichnung.

Die Alphabetschrift ueberwindet den auf AEhnlichkeit beruhenden
Erfahrungsrahmen. Wenn Zeit nicht ausdruecklich angegeben ist oder
Raumkoordinaten nicht bewusst benannt werden, sind Zeit und Raum im
Text und in der Grammatik umgesetzt. Damit veraendert sich die
Kommunikation, sie wird durch abstrakte Groessen vermittelt, deren
Bezug zur Erfahrung sich wiederum aus zahlreichen Substitutionen
ergibt, ueber die der Leser nicht verfuegt.

Hinweise in der Schrift sind zuallererst Hinweise auf Sprache, erst
in zweiter Linie auf menschliche Erfahrung. Die Lektuere eines Textes
erfordert daher die aufwendige kognitive Rekonstruktion der
ausgedrueckten Erfahrung und ist stets mit der Unsicherheit darueber
verbunden, ob das Verstandene auch angemessen verstanden wurde. Bei
der Lektuere eines Textes gibt es niemanden, den man fragen kann, der
unser Verstehen seinerseits aktiv nachvollzieht oder es bezweifelt.
Der Autor existiert als Projektion im Text nicht anders als der Autor
in den von uns gekauften und verwendeten Waren. Jeder Text ist eine
Realitaet auf Papier oder anderen Speichern und Vermittlungstraegern.
Hinweise koennen aus Autorennamen oder aus historischen Kenntnissen
gewonnen werden. Niemals aber kann es den gegenseitigen Austausch
eines muendlichen Gespraechs geben, das gemeinsame Bemuehen der
gegenwaertigen Kommunikationspartner.


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