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wuming schrieb am 20.8. 2010 um 08:59:32 Uhr über

Lesen

Das Schreiben als eine eigene spezifische Form der Praxis traegt in
diesem Zusammenhang zur Aufsplitterung der Gesellschaft, statt zu
ihrer Vereinigung bei. Spezialisierte Formen des Schreibens foerdern
die allgemeine Tendenz zur Spezialisierung und rufen spezialisierte
Formen des Lesens hervor. Das sei etwas naeher erlaeutert.

Selbst wenn Autoren versuchen, ihre Sprache auf ein bestimmtes
Lesepublikum auszurichten, sind sie nur teilweise erfolgreich, weil
die involvierten Erfahrungsbereiche nicht deckungsgleich sind.
Entweder wird der Autor zum Opfer der Sprache (jenem
hochspezialisierten Sprachregister, das auf einen spezifischen
Wissensbereich zugeschnitten ist) und ahmt in Grammatik und Rhetorik
das normale Gespraechsverhalten nach. Oder aber er uebersetzt oder
erlaeutert, wie in populaerwissenschaftlichen Publikationen zu Physik,
Genetik, den Kuensten oder der Psychologie. In diesem
interpretierenden Diskurs werden Einzelheiten ausgelassen oder
ergaenzt, um die Wissensgrundlage zu erweitern. Bestimmte
Ausdrucksmittel wie Vergleiche und Metaphern sollen unterschiedliche
Hintergruende ueberbruecken und die Leser zu neuen Erfahrungsebenen
fuehren. Und selbst wenn sich die Leser dieser Mittel bewusst sind,
kann das nicht den Mangel an Erfahrung ausgleichen, wodurch allein
ein Text Sinn ergibt. Ein juristischer Schriftsatz, ein
militaerischer Text, eine Investmentanalyse, die Evaluierung eines
Computerprogramms sind Beispiele hierfuer. Sie sind auf Englisch oder
Deutsch geschrieben, aber sie beziehen sich auf Erfahrungsbereiche,
die nur Juristen, Offizieren, Maklern oder Programmierern zugaenglich
sind.

Autoren, Redner, Leser und Zuhoerer sind sich der Anpassungen bewusst,
die zum Verstaendnis dieser und aehnlicher Texttypen noetig sind. Ein
direktes Gespraech, fuer das man allerdings gemeinsame Zeit aufbringen
muss, kann einen solchen Anpassungsrahmen bieten, eine gedruckte
Textseite sehr viel weniger. Bestenfalls kann ein Leser seine
Reaktion wiederum zu Papier bringen oder schriftlich um ergaenzende
Erlaeuterungen bitten, um auf diese Weise den Geist des Gespraechs zu
treffen. Die Erfahrung des Schreibens und Lesens hat immer weniger
den Charakter einer allgemeinen Erfahrung und immer mehr den einer
hochspezialisierten Taetigkeit. Schrift kann von Maschinen gelesen
werden. Als Hilfsmittel fuer Blinde lesen solche Maschinen
Anleitungen, Zeitungsartikel und Untertitel von Videofilmen.
Synthetische Stimme, Auge und Nase, Beruehrungssensor oder
Geschmacksuebersetzer operieren in einem Bereich, der voellig losgeloest
ist von dem Leben, das in den entsprechenden Text (Bild, Geruch,
Textur, Geschmack) eingegangen ist und das der Leser (Zuschauer,
Riechende, Fuehlende, Schmeckende) von sich aus hinzuzufuegen haette.


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Was kann man tun, wenn »Lesen« gerade nicht da ist? Bedenke bei Deiner Antwort: Die Frage dazu sieht keiner, schreibe also ganze Sätze.

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