BEGEGNUNG
Ich habe nie auf ihn gewartet, aber einmal kam er ganz dicht an mir vorbei. Eine lang hingezogene Melodie summend, bog er vom Hallenschwimmbad nach rechts zum Parkplatz. Das Badebündel schlug er sich um die Beine, daß es wehtun mußte. Man roch das Prickeln einer Juninacht, die alles mit Samt umschließen würde, und als die ersten Lichter in den Fenstern gegenüber aufleuchteten, verkümmerten sie gegen das Abendrot. Die Stadt war süchtig nach Ferne. Er sah aus wie zwölf und für sein Alter zu klein, mit Augen, die zum Abfall schielen, aber dort noch die Fährte von Wölfen und Zauberern suchen. Er ging zum Fahrradstand, schob die linke Hand aus der Hosentasche und holte einen kleinen Schlüssel heraus. Als er das dritte Mal unruhig auf und ab gerannt war, begriff ich, sie hatten ihm etwas gestohlen. Ich saß wie gewöhnlich auf meiner Bank und blieb ganz still. Deshalb hörte ich, was er nicht bemerkte oder nicht wahrhaben wollte: Das Kichern der anderen in den Büschen. Ja, dort hockten sie, Jungen und Mädchen seines Alters, stießen sich erregt an und schauten zu, wie er stolpernd begreifen mußte, sein Fahrrad war verschwunden. Hätte er besser ins Freibad mit ihnen gehen sollen? Wie lächerlich er gegen die Tränen kämpfte: Wiedermal wird ein einsamer Held verlangt, und der kleine Körper stellt die große Frage: Warum? Einen Augenblick verängstigt, zog er dann stapfend los, nach Haus wahrscheinlich, noch in Richtung Trost. Und während man deutlich aus den geöffneten Fenstern die Stimme des Tagesschausprechers hörte, sah ich, wie seine kleine linke Hand sich zur Faust ballte. Ist sie erst nach innen gewandert, dachte ich, schmiert sie das Hirn besser als jede Droge. Dann lehnte ich mich zurück und versuchte, die heimlichen Geräusche aus den Gebüschen ringsherum aufzunehmen. Deshalb saß ich ja hier.
Manfred Maurenbrecher (1982)
|