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In der Bibliothek des Soziologischen Instituts waren die Rosi, die Verwaltungsangestellte, und ich gerade am Kaffee am trinken, da kam ein Schatten zur Tür hereingeschlichen, raffte sich mühsam vor Rosi's Schreibtisch zusammen. Eine wahre Jammergestalt: rappeldürr, sichtlich magersüchtig, mit fettigen, kurzen Schnittlauchlocken, eingefallenem Totenkopfgesicht, erloschenen Augen, das alles von flatternden Schlabberklamotten umweht. Ein Elend von Frau oder Mädchen oder wie auch immer, jedenfalls weiblichen Geschlechts, so rein biologisch gesehen. Ihre Mappe presste sie schutzsuchend an ihre nicht mehr vorhandenen Brüste, ein Handgelenk war vom Ritzen frisch verbunden. Sie hüstelte ein paar mal, bevor sie imstande war, der Rosi ihr Anliegen vorzutragen:
»Guten Tag, ich ... ich studiere Psychologie und ich ... ich interessiere mich für Selbstmord.«
Nun gibt es in der Soziologie ein Spezialgebiet, die Suizid-Forschung, die sogar zu den Wurzeln der Soziologie gehört, und in jeder soziologischen Bibliothek gibts ein paar hundert Bücher darüber, auch bei uns gab es die, und die Rosi gab die routinierte Antwort: »Suizidforschung, das ist Standort 24 F, wenn sie reinkommen, das fünfte Regel rechts !« Eisern bewahren wir die Fassung, bis sich die Tür zum »Bestand« (also der eigentlich Bibliothek, da wo die Bücher sind), hinter dieser Selbstmordinteressentin geschlossen hatte. Es war nicht nett, aber wir prusteten vor lachen, bestimmt eine halbe Stunde lang. Und an diese Szene, die sich ungefähr 1990 oder 1991 abgespielt haben muß, denke ich noch heute, wenn ich »Psychologie« höre oder lese.
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