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Jürgen schrieb am 5.10. 2001 um 23:09:32 Uhr über

Kugelkopfschreibmaschine

Eine Betrachtung der Veränderungen der Bibliothekstechnik in einer
Institutsbibliothek in den letzten zehn Jahren

Technische Innovation ist in Bibliotheken zumindest in der letzten Dekade kein Fremdwort,
sondern Realität des Berufsalltags, ganz gleich, ob es sich um Zentral- oder
Institutsbibliotheken handelt. Warum nicht einmal innehalten und Revue passieren lassen, was
so alles an technischer Innovation an ein und derselben Stelle passiert ist? Dies freilich aus
dem Blick eines Bibliothekars einer »Institutsstelle«, wie es in der UB immer so schön heißt.
Ob sich einmal eine Kollegin aus der UB findet, die die Entwicklung dort, aus der Sicht ihrer
Abteilung, schildert?

Die Entwicklung der Technik bestimmt den beruflichen Alltag, und beide haben entschieden an
Dynamik gewonnen. Wie ein Kollege letzt bezüglich der Vergabe von Schlagworten sagte: "Man
kommt gar nicht mehr zum Lesen!" Ja, hat man denn das früher und war das überhaupt erlaubt?! In
der Tat, früher war dies noch - im Interesse einer qualitativ hochwertigeren Verschlagwortung -
möglich. Heute schaut man sich Autor, Verlag, Inhaltsverzeichnis an und vergibt die Schlagworte, nur
selten blättert man einmal quer. Der Arbeitsalltag hat sich intensiviert. Natürlich unterliegt unser
Berufsstand nach wie vor dem Vorurteil, daß wir so viel Luft im Arbeitsvollzug haben, daß wir auch
zum Lesen kommen ("Ein schöner Beruf, da sitzen Sie ja an der Quelle und bekommen mit, was so
alles geschrieben wird!"), die Wirklichkeit sieht anders aus. Vom Nagellack zum Multitasking, so
hätte der Titel dieses Artikels auch lauten können. Dies wäre aber weniger griffig gewesen. Nun,
lassen Sie sich ein wenig von mir durch die Vergangenheit meiner Arbeitsstelle führen und nutzen Sie
die Gelegenheit, Ihre Vergangenheit Revue passieren zu lassen. Es geht hier nicht um Technikkritik
(die ist schon längst pass‚), es geht auch nicht um die Diskussion, inwieweit das alles nicht Anlaß für
BAT-relevante Forderungen gewerkschaftlicher Art bieten könnte (auch dies ist pass‚, wer denkt da
in der heutigen Zeit noch dran?), es geht einfach nur darum, bewußt zu machen, was alles passiert ist.
Das hat etwas mit Identität zu tun, oder nicht?

Mitte der achtziger Jahre

Vor zehn Jahren war die Macht des Zettelkatalogs und damit der »Verzettelung« noch ungebrochen.
Noch früher hatte man mittels Umdruckgeräten die Karten vervielfältigt (die verbleichenden
Titelkarten aus den sechziger Jahren im Standortkatalog zeugen noch davon), dann kam die Periode,
wo die Kärtchen in der UB mit moderneren Techniken vervielfältigt wurden. Man schrieb also die
Titelaufnahmen auf Fahnen, immer vier auf eine Fahne, wobei man sich dabei um Himmelswillen nicht
vertippen durfte. Wenn doch, trat der Nagellack in Aktion, weil der Offsetdrucker nur mit Nagellack
zu überlisten war. Daher wurden Titelaufnahmen immer bedächtig gemacht, weil die Korrektur meist
Zeit kostete und es oft nach der Korrektur schlecht aussah, weil man die Zeile dann doch nicht genau
erwischte... Erwähnt werden sollte, daß auf den Fahnen genau der Platz für die Signatur, für den
Textblock und natürlich auch die Aussparung für die Lochung angegeben war, weswegen man den
Text geschickt verteilen mußte, um einerseits nicht in verbotene Gebiete zu kommen, andererseits
aber wenn möglich Folgekarten zu vermeiden. War eine ansehnliche Anzahl von Fahnen
zustandegekommen, wurden sie in einen Karton gelegt, mit einem Zettel mit dem Stempel der
Bibliothek und der gewünschten Anzahl der Abzüge ergänzt und dann ging eine studentische
Hilfskraft mit einem Karton in die UB zu Herrn Schlauch, der das Drucken übernahm. Das dauerte
eine Woche, dann ging wieder die Hiwi hin, stanzte noch die entsprechenden Löcher in die Karten
und brachte den Karton gefüllt wieder zurück, worauf der zweite Teil der Arbeit begann: das
Verzetteln und Köpfen. Übrigens: Die UB hatte ihren Tribut, ein oder zwei Kärtchen für den
Gesamtkatalog, bereits abgezogen. Die bearbeitete dann die gleichnamige Abteilung, heute
»Institutsstelle« genannt, weiter.
Die Nebeneintragungen und Schlagwortkarten wurden hergestellt, indem man die Kärtchen in die
Schreibmaschine einspannte und die entsprechenden Namen, Körperschaften, Reihen, Schlagworte
einfügte. Waren es mehrere Nebeneintragungen oder Schlagworte, so fiel diese Arbeit mehrfach an.
- Deswegen ging man z.B. mit der Schlagwortvergabe sparsam um. Vertippte man sich, war bei
diesem Arbeitsgang Tipp-Ex das geeignete Mittel, sowohl als Blättchen als auch in der Form von
kleinen Dosen mit Pinseln (immer dünn auftragen!). Danach wurde alles sortiert und danach in die
entsprechenden Kataloge eingestellt. Der Zeitbedarf von der Titelaufnahme bis zum Einstellen in den
Katalog betrug meist sechs Wochen. Das bedeutet: Sechs Wochen war das Buch schon in der
Bibliothek verfügbar, ohne daß es in den Katalogen nachgewiesen war. Heute wäre das undenkbar!
Oft blieben bei diesem Arbeitsgang Kärtchen übrig, eine Makulatur, die wunderbar für
Notizzettelchen geeignet war! Manchmal waren aber auch mehr Karten vonnöten, die man dann per
Hand herstellte: Man tippte die Umdruckversion einfach nochmal ab! Vielleicht noch einen Blick auf
besondere Dienste: Zettel für Sonderstandorte wurden auf dieselbe Art und Weise hergestellt.
Neuerwerbungslisten entstanden einfach dadurch, daß die AK-Karten auf den Kopierer gelegt und
in der erforderlichen Anzahl kopiert wurden, meist mit einem handschriftlich erstellten Kopf.
Diese Arbeitsvollzüge, um noch auf den »Hardware«-Aspekt einzugehen (die Software befand sich
damals im Kopf), wurden mit einer elektrischen Adler-Einzeltypen-Schreibmaschine hergestellt.
Manche Kolleginnen waren da moderner, hatten z.B. die Kugelkopfschreibmaschine von IBM, ein
Gerät, das heute noch in manchen Bibliotheksverwaltungen eingesetzt wird, weil es so problemlos
Durchschläge fabriziert und recht zuverlässig ist. Ach ja, Durchschläge mittels Kohlepapier oder
Durchschreibepapier: Das war die damals mögliche Art, mehrere Kopien eines Schreibens zu
bekommen, z.B. für die Ablage. Wenn die einzelnen Blätter mit dem Kohlepapier verrutschten,
mußte man sie nochmal herausholen, neu aufstoßen, fest zusammenhalten und erneut in die
Schreibmaschine einführen. Bitte nicht knittern! 1988 wurde die Bibliotheksverwaltung anläßlich
eines Umzugs mit zwei Speicherschreibmaschinen ausgestattet. Speicher, das verweist schon ein
wenig auf die Zukunft! Aber wie labil, wie wenig zuverlässig waren diese Geräte, wie oft mußte man
sie in den »Urzustand« versetzen, um wieder mit ihnen arbeiten zu können! Dies löschte
selbstverständlich alle Formularkonfigurationen, man mußte erneut die Sisyphusarbeit auf sich
nehmen, oft gebrauchte Texte und Positionen (z.B. für die Haushaltsanweisungen) einzuspeichern!
Auch dies zeigte schon ein wenig nach vorn...

Anfang der neunziger Jahre

1990 begann dann das Leben mit dem PC. Es ließe sich einiges an Anekdoten über die
Anfangsphase erzählen ("Ein teures Textverarbeitungssystem ist doch in der Bibliotheksverwaltung
nicht nötig. Sie haben ja weiterhin die Schreibmaschine!"), aber nicht die Einführung neuer
Technologie ist hier das Thema, sondern der neue Alltag!
Wenn man einmal von allem Spektakulären absieht, brachte der Computer die Möglichkeit der
Wiederholbarkeit: Ein Schreiben von jetzt auf nachher nochmal für jemand ausdrucken? Kein
Problem! Titelaufnahmen im Drucker stecken geblieben? Man kann sie (zugegebenermaßen mit
einigen Umwegen) nochmals druken. Das mühselige Hantieren mit Nagellack und Tipp-Ex (ade,
benebelnde Gerüche!) sowie Durchschlagpapier war vorbei, man sah jetzt den Schreiben und den
Kärtchen nicht mehr an, wenn sie verbessert und erneut ausgedruckt wurden. Sodann beschleunigte
der Computer die Arbeitsvollzüge der Bibliotheksverwaltung: Karten konnten schneller ausgedruckt,
sortiert und in den Zettelkatalog eingelegt werden, so daß sich die Katalogkartenbearbeitung auf ein
Drittel verminderte. Neuerwerbungslisten wurden als Auszug in Listenform aus der Datenbank
exportiert, mußten nicht mehr geklebt werden, von der Platz- und Kostenersparnis einmal ganz
abgesehen.
Was neu hinzukam, war die Notwendigkeit des »Backups«, des Herstellens von Sicherungskopien.
Das ist wie bei der Feuerwehr: Ständiger Aufwand, überlegte Strategien, nur damit man für den
Ernstfall gerüstet ist, ohne daß der Nutzen vorerst zu sehen ist, nur der Aufwand kommt einem zu
Bewußtsein. Das wurde aber anders, nachdem der »Ernstfall« mit einem streikenden
Betriebsprogramm und einer Festplattenkomplett-restauration einmal stattgefunden hatte... Seitdem
ist auch der Aufwand unmittelbar einsichtig.
Das potentielle Neue des Computers, die Möglichkeit des Datentransfers und der Duplizität in Form
von OPACs in der Bibliothek selbst war zunächst ebenfalls nicht zu sehen. Insofern war die
Retrokatalogisierung von Titelaufnahmen auch nur eine Trockenübung, deren Nutzen sich zunächst
abstrakt in wachsenden Zahlen von Titelaufnahmen in der Datenbank ausdrückte. Das änderte sich
erst mit der Beschaffung eines zweiten Computers, worauf der erste dann in der Bibliothek als
OPAC dienen konnte. Dies revolutionierte dann vollends die Katalogbearbeitung, indem der OPAC
jede Woche (und bei Bedarf noch schneller) ergänzt wird. Schade nur, daß die Benutzer am
Zettelkatalog hängen, der mindestens doppelt so lange braucht, um aktualisiert zu werden.

Mitte der neunziger Jahre

Der Computer läßt sein Schreibmaschinen-Ersatz-Dasein hinter sich und entpuppt sich so langsam
als Netz-Werkzeug. E-Mail, das war lange Zeit ein Fremdwort, unter dem man sich so gar nichts
vorstellen konnte. Das war das Reservat fortschrittlicher Mittelbauler und amerikanischer
Austauschstudenten, die diese neue Form von Kommunikation ausübten. World-Wide-Web? Für
mich waren das zunächst ein paar bunte Bilder, die eine Kollegin aus der UB mir zeigte. Ich hatte
keine Vorstellung vom Nutzen dieser Dinge, von der Reichweite, die sie für den Bibliotheksalltag
haben sollten. Und plötzlich wird die langerhoffte Netzanbindung des Instituts verwirklicht, durchläuft
man einen längeren Prozeß der Konfiguration des Computers und der Software (durchaus nicht
immer erfolgreich) und des Einarbeitens in das neue Angebot.
Was bedeutet die neue Technologie für den Arbeitsalltag? E-Mail bietet schnellere, ausgeweitete
Kommunikation im Institut, in der Uni und überhaupt, z.B. mit den Lieferanten, das WWW bietet
Zugang zu Katalogen (jetzt OPACs genannt) und Datenbanken sowie ausgeweitete Möglichkeiten
der Selbstdarstellung. Diese Schlagworte sind schön und gut, aber was bedeuten sie fürs alltägliche
Handeln? Manche Arbeitsgänge wie z.B. Titelaufnahme und Erstellung der Titelkarten (Ausdruck,
Verzetteln, Sortieren, Einstellen in den Katalog) sind gleich geblieben. Andere Arbeitsgänge, wie z.B.
die Erstellung der Neuerwerbungslisten, haben sich geändert: Auch jetzt noch exportiert man die
Titelaufnahmen aus der Datenbank, ordnet sie mit einem bestimmten Befehl, importiert sie in die
Textverarbeitung und editiert sie dort, um sie dann aber nicht auszudrucken, sondern weiter mit
einem HTML-Editor zu bearbeiten und auf den WWW-Server des ZDV zu laden. Oder das
Bestellwesen: Der Arbeitsgang bezüglich der deutschsprachigen Bestellungen bei den Tübinger
Buchhandlungen ist gleich geblieben, bei den Großhändlern für die englischsprachige Literatur wird
mittlerweile per E-Mail bestellt. Oder die Beratung: Kommt ein Benutzer und fragt nach einem Buch,
das er im Bestand nicht gefunden hat, kann man über den UB-OPAC zunächst nachprüfen, ob er/sie
richtig gesucht hat (und im positiven Falle ihm/ihr gleich sagen, daß das Buch vorhanden ist und
zeigen, was in der Recherche falsch gemacht wurde), kann dann im Bestand der UB und anderer
Institutsbibliotheken nachsehen und bei einem negativen Ergebnis sogar zum OPAC der
Württembergischen Landesbibliothek weitergehen (und dort im positiven Falle auch den
Ausleihstatus des betreffenden Buches erfragen). Als letztes Beispiel die »Internet- Beratung« der
Bibliothek, indem ein URL-Pool erstellt und gepflegt sowie ein »Internet-Info« mit neuen
Internet-Quellen für Politikwissenschaftler erstellt wird. Die »neuen« Arbeitsanteile machen vielleicht
ein Viertel der Arbeit aus, da sie aber z.T. parallel zur übrigen Arbeit erledigt werden, bekommt die
Arbeit einen »Multitasking«-Charakter, indem man je nach Anforderung zwischen den verschiedenen
Fenstern hin- und herspringt.

Blochs Diktum von der Ungleichzeitigkeit im Fortschritt gilt auch für den Bibliotheksalltag: Manche
Bereiche verharren im alten Zustand und werden dies noch länger tun, da für sie keine
Notwendigkeit besteht, rationalisiert zu werden. Sie können weiter »traditionell« erledigt werden, wie
zum Beispiel die Zeitschriftenverwaltung, die bei einem Volumen zwischen 120 und 160 Zeitschriften
am einfachsten mit einer Kardex zu erledigen ist. Da nimmt man auch heute noch den Kuli, wenn ein
Heft kommt, und trägt die Heftnummer und das Datum ein. An Übersichtlichkeit ist die Kardex wohl
nicht so schnell durch ein Computersystem zu schlagen, wozu auch, bei der geringen Menge?

Schluß

Und die Moral von der Geschicht'? Bemerkenswert ist, wie selbstverständlich einem die neue
Technik geworden ist, so daß man sich nach kurzer Zeit gar nicht mehr vorstellen kann, ohne sie zu
sein. Ein ähnlicher Effekt wie die Entwicklung in der Haushaltstechnik: Wer könnte sich ein Leben
ohne Waschmaschine vorstellen? Dabei ist ein Leben mit »Waschtagen« noch gar nicht so lange her...
Wenn es aber wirklich um eine Moral gehen soll, dann ist dies diejenige, daß zwar Arbeitsintensität
und auch die Anforderungen gestiegen sind, dies aber nicht notwendigerweise in Belastung und
Unzufriedenheit umschlägt. Wahrscheinlich sind jene Anteile der neuen Technologie dafür
verantwortlich, die neue Qualitäten von einem fordern und in der Folge auch neue Motivation geben.
Und sicher spielt auch die gestiegene Möglichkeit zur Kommunikation eine Rolle.


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