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Rietenburg: Der Burggraf von R., Minnesänger, wahrscheinlich der jüngere Bruder oder Stiefbruder des Burggrafen von Regensburg (s. A. D. B. XXVII, 550), und zwar entweder Heinrich IV. (Burggraf seit 1176, † nach 1184/85) oder Otto III. († nach 1185). – Gleich dem Burggrafen von Regensburg reimt der Rietenburger noch unrein und läßt wiederholt die Senkungen aus, gleich jenem verbindet auch er zwei Monologe der Liebenden, die ohne äußerlich markirte Beziehungen zu einander in gemeinsamer Lage übereinstimmende Gesinnung aussprechen. Aber er ist doch um vieles moderner als sein Geschlechtsgenosse. Er hat keine reimlosen Zeilen mehr, er führt den überschlagenden Reim ein, unterscheidet stumpfen und klingenden Versausgang, braucht den vierhebig klingenden Vers. Naturformeln wendet er mit mehr künstlerischer Berechnung an: er contrastirt Herbst und Liebeshoffnung, Frühlingsfreude der Gesellschaft und eigene Gedrücktheit und wählt zum Ausdrucke für die Winterbeschwerden ein typisches Bild: die Noth der rothen Blumen. Seine Lieder sind nicht mehr monodisch und überschreiten das alte Maß von einer Strophe: ein zweistrophiges (Minnesangs Frühling 19, 7–26) wendet sich an das höfische Publicum, wie die von der Poesie der Fahrenden entlehnte Wahrheitsbetheuerung zeigt. Es mag ein Tanzlied sein zur Eröffnung der Saison und bildet frei die alten Motive dieser volksthümlichen Gattung um: auf Natureingang folgt Andeutung der eigenen Empfindung, dann Aufforderung zur Freude und in der zweiten Strophe die „Erneuung des Sangs“, die Darlegung der persönlichen Liebeserlebnisse. In diesem Gedicht verfügt der Dichter bereits über die musikalischen Künste der Responsion, wie anderwärts über Annominatio und reichen Reim. Aus der geistlichen Poesie dürfte er den dreifachen Reim am Schluß einer Strophe übernommen haben. – Der R. stellt zuerst die Theorie von der moralischen Vervollkommnung durch Liebe und Liebesleid auf, er kennt die Sitte des Minnedienstes, das conventionelle Werben um die Gunst der Geliebten. Die Liebe selbst zeigt in seiner Dichtung keinen sinnlichen Charakter, sondern erscheint züchtig verhüllt. Der Inhalt der Lieder ist bereits voll von Reflexion und auch ihr Stil arbeitet mit Motivirung, Gegensatz und Folgerung. Der R. ist der erste deutsche Minnesänger, der unglückliche Liebe als poetisches Motiv empfindet und directe Anleihen macht bei der provencalischen Lyrik. Er benutzt einmal eine Wendung, die wir in der romanischen Poesie zuerst bei Folquet von Marseille, der nach Diez 1180–1195 dichtete, nachweisen können und die allenfalls auch auf diesen zurückgehen kann, ein andermal überträgt er in Anlehnung an Peyrol einen biblischen Vergleich auf sein Liebesleben.
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