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Die Leiche schrieb am 5.6. 2012 um 09:44:53 Uhr über

Abbruchwohnung

Meine aktuelle Wohnung kann man wohl mit Fug und Recht so bezeichnen. Das Haus stammt wohl noch aus herzoglichen Zeiten - ein Drei-Seiten-Hof, eine in Thüringen zu dieser Zeit vorherschende Bauweise auch in den kleinen Städten. Beherrschend war stets das Wirtschaftsgebäude, wo Handwerksbetriebe saßen, Kleinindustrie, aber auch Gaststätten, Logierhäuser, Löcher, die an Tagelöhner vermietet wurden usw. Dann gab es ein meist etwas bescheideneres Wohnhaus in einem weiteren Flügel und der dritte Flügel bestand aus Scheunen, Schuppen, Scheuern, Ställen. Klein- und Großvieh wurden gehalten, Holz gestapelt gehämmert, gesägt und gehobelt. Auch Fuhrwerke waren dort untergestellt. Vielleicht phantasiere ich mir das auch aus den Feuerbachschen »Verbrechen« zusammen, die eine kulturhistorisch hochinteressante Darstellung der Lebensweise im 19. Jahrhundert enthalten ? Das Wohnhaus jedenfalls ist der einzige Teil des Anwesens, der noch nutzbar - bewohnbar - ist. Die anderen beiden Flügel rotten offenbar schon seit Jahrzehnten malerisch vor sich hin. Meine Wohnung ist von respektabler Größe - weit über 100 qm, die auf eine sehr merkwürdige Art und Weise zugeschnitten sind. Es gibt zwei deutlich getrennte Trakte: aus einem langen, schmalen, düsternen und vewickelten Schlauch von Flur betritt man eine sehr großzügige Küche, von der aus eine kleine Kammer und ein größeres Wohnzimmer abgehen - jeweils mit ein oder zwei Stufen. Im zweiten Trakt dann ein ebenfalls großes Bad, eine kleine Kammer, ein gigantisch großes Schlafzimmer von ca. 30 qm, von dem aus man wieder noch eine kleine, derzeit noch vollgemüllte Kammer erreichen kann. Der Hauseigentümer ist eine »dürrgetrunkene Runkel« (Henscheid), der in einem winzigen Kabuff in einer Ecke des Erdgeschosses haust. Wenn er nicht säuft, dann knötert er irgendwie in den verrottenden Teilen seines Anwesens herum, räumt auf, räumt um, räumt ein - ohne daß der Verfall des Ganzen irgendwie davon beeinflußt wäre. Weil er immer noch hilfsbereit, freundlich und gutwillig ist, kümmert sich »das Amt« rührend um ihn. Man will ihm helfen, auch wenn er immer wieder periodisch zur Entgiftung in der Psychiatrie landet. Er ist so eine Art Schmidt auf unterem Niveau. Kein Chemiker, Naturwissenschaftler, Intellektueller - ein Handwerker eben, der für psychedelische Erlebnisse auf das klassisches, hochprozentiges Ethanol verwiesen bleibt. All die schon grauenerregenden klingenden Pharmaka, diese Oxys, Tetras, Pentas, Fluor- und Chloride, von denen Schmidt so berichtet und ihn zwischen dem ebenfalls klassisches Klischee des »mad german scientist« à la Frankenstein und Faust 3.11 osziliieren lassen, bleiben ihm verschlossen - aber die Auswirkungen sind sich offenbar sehr ähnlich.


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