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Steffen Wurstner schrieb am 8.7. 2008 um 14:42:37 Uhr über

Standbild

Mein Vater ist sehr seltsam. Einst meißelte er in seinem Hobbykeller an einem übermäßig großen Standbild von Willy Brandt. Stilistische Hinsicht, na, ich würde mal so sagen: wie ein Breker. Das ist nur so aus einer Laune raus, äh, entstanden, also er hat ja noch lange dran gearbeitet. Ich habe ihn einmal, in der 9. Klasse war das damals, also schon eine Weile her (er arbeitete wirklich schon eine Weile dran, Stahlbeton) darauf angesprochene, ob diese Ästhetik für den Brandt nicht etwas brutalistisch ist. Da ist er aufgesprungen und hat die Hand zur Faust geballt. Fanatisch, wie ein Fanatiker erschien er mir. »NEIN, NEIN!«, schrie er, und ich fürchtete schon, er würde mir die Faust in die Fresse schmettern. Aber dann schrie er nur, wie fanatisch er das sehen würde, und dass Willy Brandt in dieser, in dieser Breker-Ästhetik eben nachgebildet werden müssen, weil es eben so sei. Ein paar Jahre später, das Standbild nahm bereits Formen an, bemerkte ich, dass mein Vater dem Brandt eine riesige Doppelaxt in die Hand gegeben hatte. »Was zum...«, dachte ich mir nur, ich fragte aber nicht nach. Ich fing dann nur an zu bemerken, dass mein Vater, wenn das Geräusch des Presslufthammers verstummte, leise, nein, deutlich vernehmbare Zwiesprache mit seinem hoch merkwürdigem Werk hielt. Er nannte ihn bei diesen gewöhnlich »Brandt, oh du herrlichster Satan«. Ich war etwas verstört, dies mitzubekommen. Eines der wiederkehrenden Themen in der Unterhaltung meines Vaters mit dem Bilde war die baldige Vernichtung des gesamten Menschengeschlechts. Ich wollte das aber alles nicht so genau wissen. Nachts hielt mein Vater dann stundenlange Reden in dunklem Kerzenlicht, geöhnlich über die Sitten des Negertums. Dies alles war mir befremdlich. Ich sah zu, das ich auf einem Berufsweg einbog, der mir schon bald ein geregeltes Auskommen in ausreichender Höhe gewährte, um möglichst schnell einen eigenen Haushalt zu gründen. Meine geheimen Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Ein Jahr nach meinem Auszug im Jahr 1992 wurde mein Vater zum Bürgermeister der Kommune gewählt. Er setzte im Stadtrat durch, dass das riesenhafte Monstrum, dass er im Keller gebildet hatte, vor dem Rathaus aufgestellt wurde. Dort steht es bis zum heutigen Tag.


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