Bussard

»Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott«, sagte ich, »meine Erkenntnis hat die Begrenzung, daß sie IHN nicht denken und wahrnehmen kann. An Worte glaube ich nicht. Viele der Berichte über Ihn und seine Taten finde ich abscheulich. Ich bin allmählich einer dieser Abtrünnigen geworden, die die Schöpfung betrachten und das Unrecht als etwas Unabänderliches anerkennen. Der Arme und der Schwächere – – man kann ihnen nicht helfen. Man muß sich daran gewöhnen – daß es sie gibt. Ich habe mich niemals verhärtet, wie das die echten Reichen tun – aber ich fühle mich nicht mehr verantwortlich. Ich begreife den Unterschied zwischen einer Maus, auf die ein Bussard herabstößt, und einem Menschen, den man verurteilt, nicht. Ich halte das Leben eines Wals für größer – für ausgedehnter – als das eines Handelsherrn.«

Hans Henny Jahnn
Fluß ohne Ufer II, 589

Mäuse! Immer nur Mäuse. Zum Frühstück Mäuse. Mittags Mäuse. Abends Mäuse. Dem Bussard gefällts.
Er sitzt auf dem Bord über der Spüle, in die er ab und zu die Gewölle würgt, und stößt wann immer die große Standuhr im Flur die Stunde einer neuen Mahlzeit ankündigt, herab auf den Küchenboden und schnappt sich einen von diesen pelzigen Nagern, die unter den Dielen meiner Küche wohnen.
Ich habe mir angewöhnt meine Wurstbrot immer mit einer weiteren Scheibe Brot abzudecken und die Küche überhaupt zu seinen Essenszeiten zu meiden. Wenn er nicht ißt, trinkt er - am liebsten Wein aus diesen kleinen Fläschchen mit Schraubverschluss, die man manchmal im Flugzeug kriegt - er achtet sehr auf seinen Stil.
Ich ziehe bald um und hoffe nur, daß der nächste Mieter sich gut mit ihm versteht, wenn er ihn, wie ich damals, beim Einzug vorfindet.