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mcnep schrieb am 4.6. 2005 um 00:03:05 Uhr über

Gottwürfelt

Nietzsche war vielleicht der einzige, der verstanden hat, worum es zwischen dem Christentum und dem Jetzt geht. Er hat verstanden, daß es bei Dionysos oder Christus beiden um das Martyrium geht, um das Leiden. Nur hat dasselbe, das Martyrium, einen anderen Sinn. Das Leben selbst, sagt Nietzsche, seine ewige Fruchtbarkeit und Wiederkehr, bedingt die Qual, die Zerstörung, den Willen zur Vernichtung. Im anderen Fallen, nämlich im christlichen Falle, gilt das Leiden, »der Gekreuzigte als der Unschuldige«, als Einwand gegen dieses Leben, als Formel seiner Verurteilung. Man errät: Das Problem ist das vom Sinn des Leidens, ob ein christlicher Sinn, ob ein tragischer Sinn. [...] Der Gott am Kreuzdarum geht es im 1. Korintherbrief — ist ein Fluch auf das Leben, ein Fingerzeig, sich von ihm, nämlich vom Leben zu erlösen. Der in Stücke geschnittene Dionysos ist eine Verheißung des Lebens. Er wird ewig wiedergeboren und aus der Zerstörung heimkommen.
Das finde ich ganz großartig! Und alles in der Moderne des 19. Jahrhunderts spricht für Nietzsche! Denn in einem monistischen Universum gibt es keinen Exodus, gibt es keine Transzendenz. Und dann ist das Leiden immanent zu erklären, ob man's will oder nicht. Wenn man sich nicht total belügt und mit sich mogelt, und Formen statt Erfahrungen sprechen läßt, ist da ein schweres Problem! Man kann sich darüber nicht täuschen, wenn man modern sein willund ich kenn keinen, der Protestant ist, der nicht modern sein will: Die Moderne ist ein immanenter Kosmos. Und die paar Versuche, also Weizsäcker und andere, so ein bißchen Theologie da hineinzumogeln, das ist eine Literatur. die es gibt, die eine gebildete Öffentlichkeit des gebildeten Deutschlands interessiert. Naturwissenschaftler gelten ja als besonders glaubwürdig. Wie Herr Einstein es so genau wußte, daß Gott nicht Würfel spielt. Vielleicht spielt er Würfel! Ich sehe nicht, aus welchen physikalischen Theorien über Relativität, wofür Einstein zuständig ist, man überhaupt folgern kann, daß Gott nicht Würfel spielt! Er spielt Würfel. Daß zwei mal zwei vier ist und nicht fünf, das ist eine Entscheidung. Das heißt Würfelspiel, sagt Descartes, der ja auch kein Idiot war und mit moderner Wissenschaft was zu tun hatte. Es geht einem ein so wie guter Wein, daß Gott nicht Würfel spielt. Und niemand wagt zu fragen: Vielleicht spielt er Würfel? Denn Paulus' Gott spielt Würfel. Er erwählt und verdammt. In der calvinistischen Form ist das ein Würfelspiel. Man wird geboren zur Erwählung und wird geboren zur Verdammnis. Gut, es ist viel komplizierter, aber im Prinzip ist es doch so, daß Erwählung Würfelpiel ist. Und wir, — sowenig wie der Topf den Töpfer — fragen können, warum er uns so geschaffen hat.

Jacob Taubes: Die politische Theologie des Paulus, S. 116–117


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