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Kelchpfleger schrieb am 7.2. 2003 um 18:22:59 Uhr über

DerSagenumwobeneKelchderKotze603

Nach dem Bruch mit Gautruche sank Germinie, wohin sie sinken mußte; sie verlor jedes natürliche Schamgefühl. Von Stufe zu Stufe gleitend landete das unglückliche leidenschaftliche Geschöpf auf der Straße. Dort las sie Liebhaber für eine Nacht auf, wer gerade vorüberkam, wen sie gerade traf, wen der Zufall der Straße einer umherstreifenden Frau in die Arme führt. Sie brauchte nicht erst zu warten, bis ihr Verlangen sich regte: ihre Begierde war wild und jäh, im Augenblick entzündet. Lüstern nach dem ersten besten, sah sie ihn sich kaum an und hätte ihn nie wiedererkennen können. Schönheit, Jugend, das Äußere eines Liebhabers, worin selbst die Liebe der am tiefsten gesunkenen Frauen ein bescheidenes Ideal sucht, nichts von alledem führte sie noch in Versuchung, berührte sie irgendwie. Ihre Augen sahen in allen Männern nur noch den Mann als solchen: das Individuum war ihr gleichgültig. Die letzte Scham und der letzte menschliche Sinn der Ausschweifung, eine bestimmte Vorliebe, die freie Wahl, und selbst das, was den Prostituierten Sache des Selbstbewußtseins und der Persönlichkeit ist, der Ekel, selbst der Ekel - waren ihr verlorengegangen!
Zur Nachtzeit lief sie durch die Straßen, mit dem argwöhnischen, scheuen Schritt der Tiere, die, vom Hunger getrieben, im Dunkel herumstreunen. Gleichsam außerhalb ihres Geschlechts stehend, ging sie selbst zum Angriff vor, sie reizte die Brutalität, nutzte die Trunkenheit aus, und sie war es, der man zu Willen war. Sie witterte das Unreine aus, das in den verrufenen Gegenden lauert, Gelegenheiten des Abends und der Einsamkeit, Hände, die darauf warteten, nach einer Frau zu greifen. Die mitternächtigen Fußgänger sahen sie im Licht der Straßenlaternen zitternd und unheimlich dahinschleichen, beinahe kriechen, gebückt, mit eingezogenen Schultern, schattenhaft durch die Dunkelheit streifen, mit dem Aussehen einer Irren und Kranken, in einer der so häufigen Geistesverwirrungen, die das Herz des Denkers und das Denken des Arztes mit abgründiger Trauer erfüllen.

Edmond und Jules de Goncourt: 'Germinie Lacerteux', Kap. LIV



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