>Info zum Stichwort Westen | >diskutieren | >Permalink 
Ossi schrieb am 7.12. 2010 um 21:35:54 Uhr über

Westen

Hier im Osten ist der Westen immer noch ein Mythos. Zwar sind wir inzwischen daran gewöhnt, Cola zu schlabbern und bei McDonalds einzukehren, doch sind »Wessis« nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln für uns - zumindest für diejenigen der älteren Generation, welche die Wende miterlebt haben. Wir verstehen die westliche Geisteshaltung einfach nicht.

Es ist uns (bis auf die sogenannten Startup-Ökonomen, die aus persönlicher Gier handeln) fremd, nach Besitzmaximierung zu streben. Und wir kennen auch heute noch den Wert einer Banane oder einer Kiwi, jenen damals seltenen Früchten, die uns ebenso wie Hi-Tec-Unterhaltungsgeräte lange versagt blieben. Porschefahrer sind uns ebenso suspekt wie raffgierige Designer-Anzug-Träger oder BWL-Studenten aus der schwäbischen Mittelschicht.

Hier im Osten kennt man sich noch, nicht so anonym wie in westdeutschen Städten. Doch auch bei uns schlägt nach und nach der Kapitalismus mit voller Wucht durch und erfasst vor allem die Jugend mit unaufhaltsamer Beschleunigung. Auf einmal haben die Menschen keine Zeit mehr, hetzen von einem Termin zum anderen und melden sich nur noch sporadisch. Telefon und Internet haben ehemals regelmäßige Person-zu-Person-Kontakte ersetzt.

Traf ich mich damals mit Günter noch jeden Mittwoch in der Kneipe um die Ecke, so ruft er heute nur noch alle 2 Monate an, um eine schnöde »Wie gehts dir?« Erkundung einzuholen. Auch Jenny ist jetzt weg - ist mit einem Schwaben in den Westen gezogen. Ihr Stecher macht dort viel Kohle und sie schwebt mit dem Traum vom Eigenheim im siebten Himmel.

Und was haben wir nun davon? Mehr Geld? Mit Sicherheit der ein oder andere - ich jedenfalls nicht. Mehr Freizeit? Mitnichten. Mehr Miteinander? Das ganz bestimmt nicht! Wo bleibt der Mensch? Wo bleibt die Gemeinschaft? Das System des Ostens war brutal und herzlos, ja. Aber interessanterweise wurden wir dadurch zu »mehr Mensch«. Zusammenhalt und Nachbarschaft wurden großgeschrieben. Die Not wurde zur Tugend. Mein Fazit: Wohlstand und Profit versauen den Charakter und rauben dir die Zeit zum Leben.

Ich wünsche mir beileibe keinen zweiten Honecker, aber die saisonale Nichtverfügbarkeit von Bananen wäre nicht unbedingt schlecht, sondern hätte erzieherische Effekte hinsichtlich unserer Beziehung zu Wohlstand und untereinander.


   User-Bewertung: /
Was interessiert Dich an »Westen«? Erzähle es uns doch und versuche es so interessant wie möglich zu beschreiben.

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »Westen«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »Westen« | Hilfe | Startseite 
0.0171 (0.0122, 0.0034) sek. –– 821221049