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Bluehand, am 2.8. 2002 um 03:32:05 Uhr
Generation

Wir Vodokinder

Wir tragen alte Hüte und blankgewichste Schuhe, fabrikneue Werftarbeiter Schuhe, die in unserem Marokkourlaub das erste Mal auf einer Kaimauer standen. Wir lesen Bukowski und regen uns auf wenn in der Kneipe auf dem Klo das Lokuspapier alle ist. Wir schwelgen in Kulten, die wir nicht leben müssen, Lebensgefühle aus Kultbüchern, Kultfilmen, Kultfestivals, okkulten Subkulturen,ein Punk hört keine Abba-Platten,oder gerade jetzt doch?

Unsere Mythen, die RAF, die bessere DDR, Kalifornien, Adolf Hitler und die 68er, kennen wir nur vom Hörensagen, sie sind selbstgemacht und beliebig formbar, denn wir waren keine Augenzeugen. Unsere Tanzreligion versetzt uns in Extase, wir werden besessen vom deus ex machina, aus dem Synthesizer, aus dem Drumcomputer, das goldene Kalb, das wir umtanzen, sind wir selbst. Wer kann uns heutzutage noch eine moralische Autorität sein ? Wo sollten wir eine Ethik lernen ? Und von wem ? Und warum ? Warum sollen wir nicht machen, was möglich ist ? Warum sollen wir uns nicht verhärten lassen in dieser harten Zeit ? Wenn es doch nützt ?
Wundert euch über uns, ihr Wunderkinder, denn wir sind die Vodookinder und haben das Wundern verlernt.
Wir können uns nicht mehr wundern, weil wir kein Empfinden für die Wirklichkeit mehr haben. Wir wollen über Solingen, Mölln und die anderen deutschen Städte betroffen sein, kriegen das aber irgendwie nicht auf die Reihe. Wir wissen, daß ein rassistischer Mord etwas Grauenhaftes ist, aber wir spüren es nicht mehr. Ein Bezugssystem zum Leben entsteht aus authentischen Erlebnissen, aber die gibt es kaum noch. Wir wissen, über alles Bescheid, aber aus dritter Hand. Unser Frühling erwacht nicht mehr in dumpfer Unwissenheit wie bei den Wedekindern, nein wir Vodookinder leiden an schriller Überaufklärung.
Die Beliebigkeit reagiert, wir sind Spielbälle des Zufalls, der Zufall bestimmt, was wir denken und meinen wollen. Wir sind glücklich, trotz der Sinnlehre, warum sich das Leben unnötig schwer machen ? Wir sind unausgeglichen, krank, haben einen an der Klatsche, Pickel, Übergewicht oder Bulimie. Unser Leben ist reich, und sehr armselig. Wir sind das Produkt unserer Zeit. Wir sind eine Protestgeneration, wir verweigern nicht mehr den Konsum, wir verweigern eure Werte. Wir sind die passive Konterrevolution. Wir sind manisch und depressiv, wir glauben, das uns die Welt gehört, und uns bedrückt der Gedanke, daß wir in einigen Jahren die Verantwortung für dieses ungeheuer komplexe System Menschheit übernehmen müssen. Irgend jemand von uns muß das mal machen, diese Aufgaben übernehmen, so wie das jetzt irgend jemand von euch macht. Wir haben es einfach wie kaum jemand und werden davon überfordert. Wir wollen behütet sein und frei. Wir sind hemmungslos verklemmt, unglaublich weltoffen, schön intelligent, unrealistisch und faul.
Wir sind reizend, häßlich und wir sind jung.Wir sind die Vodookinder.

Peter König




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