Ferne

Ich habe gedacht, Du wärest übers Wochenende nach Berlin gefahren, zu Deiner Freundin. Du hast mir nicht erzählt, daß sie dort wohnt, aber ich weiß es, Katja hat es mir erzählt. Überhaupt hast Du nur geschrieben: »Bin in festen Händen«. Und obwohl ich das schon lange wußte, machte das viele, gemeine Dinge mit meinem Herzen.
An diesem Wochenende fand eine Preisverleihung statt, bei der es von uns allen unhöflich gewesen wäre, daran nicht teilzunehmen. Du warst nicht da. Ich war furchtbar wütend, daß Du nicht da warst... unentschuldigt, unhöflich den geehrten Kollegen gegenüber, und nur nach Berlin, immer nach Berlin.
Dann bekamst doch tatsächlich Du selbst einen Preis verliehen, doch Du warst abwesend. Ich war ja so wütend! Unentschuldigt abwesend, und unfähig, den Preis in Empfang zu nehmen - immer nur nach Berlin!
Später erzählte mir Peter, daß Du gar nicht unentschuldigt gefehlt hattest, sondern davon wußtest, daß Du den Preis bekommst. Und daß Du gar nicht in BerlinBerlinBerlin bist, sondern bei Deinen Eltern, wo es familiäre Probleme gibt.
Das hat auch wieder viele, gemeine Dinge mit meinem Herzen gemacht und ich bin richtig gerne durch dieses Scheißwetter zu Fuß nach Hause gegangen. Das geschieht mir ganz Recht. Aber Dir auch.

Hannover
ist ferne
von Herne
und doofer.

Von ferne
sehn alle
die Qualle
sehr gerne.

Der Sterne
Gewimmel
im Himmel
liegt ferne.

Das muss dort sein, wo keine Autobahn (und auch kein HTML-Link) hinführt, wo man nichts von Plastikgartenzwergen, Aldi und Standort Deutschland weiß, wo Latcho Klinger traumverloren durch Seerosensümpfe watet. wo die Berge hoch und die Bärte lang sind...

immerzu in die ferne zu blicken, das heißt sehnsucht. es kann nicht gut sein, sich allzeit dem zuzuwenden, was so weit entfernt ist, dass man vielleicht schon auf dem weg dorthin zum scheitern verurteilt ist. und doch ist da eine fata morgana, und ich laufe, renne in diese richtung. kann das gesund sein?