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Es war ein Sonntagnachmittag wie aus dem Lehrbuch für gepflegte Familienzusammenbrüche. Der Tisch war gedeckt, der Eierlikör geöffnet, und die Tapete hatte erneut versucht, jemanden in den Wahnsinn zu treiben. Fünf Personen saßen dicht nebeneinander auf der Couch, als wären sie in einem alten Familienfoto gefangen – was sie ironischerweise auch waren.
In der Mitte thronte Marlene, die stille Strippenzieherin des Nachmittags. Niemand wusste es, aber sie hatte das Kaffeekränzchen einberufen, um ihre neue Marmorkuchenrezeptur zu testen – ein perfider Plan, der in Butter und Walnüssen ertrank.
Rechts neben ihr: Opa Helmut, der mit stoischer Würde neben einem Cocktailglas saß, obwohl er seit 1973 heimlich lieber Cola trank. Neben ihm stand Karo, die 16-jährige Rebellin mit der politischen Botschaft auf den Fingern – einem müden, ironischen Peace-Zeichen, das sie über Opas Glatze hielt, als wäre es eine Satellitenschüssel des Widerstands.
Doch das wahre Zentrum der Macht saß auf Marlenes Schoß: der Pudel. Fluffig. Elegant. Und zutiefst enttäuscht von der menschlichen Spezies.
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„Heute nicht,“ dachte der Pudel, während er mit seiner feuchten Nase an das Sektglas stupste.
Er hatte genug von endlosen Diskussionen über Nierentee, Stuhlgang und die neue Tapete im Flur. Seit Jahren hörte er zu, wie diese Familie über nichts sprach, und dabei tat, als wäre alles okay. Doch nicht heute.
Heute würde er eingreifen.
Er sprang auf. Elegant, wie ein kleiner pelziger Panther, stellte er sich mitten auf den Tisch. Mit einem gezielten Pfotenhieb schleuderte er den Aschenbecher auf den Boden – Kling! – dann bellte er. Dreimal. Kurz. Präzise. Jeder wusste, was das bedeutete:
„Es reicht.“
Der Raum verstummte. Selbst Opa Helmut nahm die Brille ab.
„Ich glaube, er will… etwas sagen?“ flüsterte Marlene ehrfürchtig, während Karo langsam ihren Zeigefinger senkte.
Der Pudel bellte erneut, diesmal in Richtung des Wandschmucks. Seine Botschaft war unmissverständlich.
„Reiß das da ab. Es ist eine Beleidigung für meine Augen.“
Die Familie verstand. In einem Akt kollektiver Erleuchtung standen sie auf, lösten das geometrische Verbrechen von der Wand und schoben es unter das Sofa.
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Epilog:
Der Tag wurde als „Das große Erwachen“ in die Familiengeschichte eingraviert. Der Pudel wurde zum inoffiziellen Hausherrn ernannt. Von da an durfte er entscheiden, wer eingeladen wurde – und wer nicht.
Die Tapete wurde zwei Monate später entfernt.
Niemand sprach je wieder über den Marmorkuchen.
Und Karo? Sie wurde später Grafikdesignerin – inspiriert von einem Pudel, der den Mut hatte, nein zu sagen.
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