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Jemand schrieb am 9.2. 2001 um 17:36:53 Uhr über

Reemtsma

Interview mit Jan Phillip Reemtsma über seine Gefühle im Verfahren, über Trauma und Ohnmacht, Religion und Tod

Die Zeit, vom 25.Jan.2001, Nr.5, S.12 ff

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DZ: Hat Ihnen das, was Sie im Keller erlebten, und das was Sie zurzeit im Prozess erleben, auch eine religiöse Dimension aufgedrängt?

JPR: Überhaupt nicht. Ich habe festgestellt, das ich wirklich nicht religiös bin. Ich habe Briefe bekommen, die diese religiöse Dimension anmahnten. Ich habe sie als eine unglaubliche Zumutung empfunden! Abgesehen davon, dass ich keine Adresse habe, an die ich irgendeinen Dank richten könnte: Hätte ich sie, wäre es dieselbe Adresse, bei der ich mich zu beschweren hätte. Ich bin nicht religiös, und da habe ich es gemerkt. Als Kind war ich mal religiös, aber das hat sich dann gelegt. Bertrand Russell ist vor allem daran schuld gewesen. Er hat ein wunderbares Argument gefunden: Diese Christen behaupten immer, sagte er, die Welt sei schrecklich und schlecht. Also muss es irgendeine Kompensation geben, durch irgendetwas Besseres. Würden Sie, wendet Russell sich an das Lesepublikum, wenn Sie eine Kiste Apfelsinen kaufen und feststellen müssten, dass die erste Lage verfault ist, sagen: Ah, dann wird die zweite Lage aus Gründen der Kompensation umso besser sein? Das hat mir eingeleuchtet.

DZ: Aber die Religion liefert Bilder. Wenn man Sie an Ihrem Tisch im Gericht sitzen sieht, könnte einem der Psalm einfallen: »Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde und schenkst mir voll ein

JPR: Sie haben merkwürdige Assoziationen. Die Religionen sind doch im Wesentlichen dazu da, mit dem Sterblichkeitsproblem der Menschen fertig zu werden. Um es mit Freud zu sagen: Das Unbewusste hält sich für unsterblich. Der Sterblichkeitsgedanke ist in der Tiefenstruktur der Menschen nicht verankert. Und so kommt es zu jenem ewigen Widerspruch zwischen diesem Wissen und der emotionellen Weigerung, diesem Wissen den nötigen Platz einzuräumen. Und genau damit sollen die Religionen klarkommen. Die Ägypter präparieren ihre Leichen, um sie unsterblich zu machen. Die Christen erfinden die unsterbliche Seele. Überall, wo Religionen poetisch intensiv werden, in ihren besten Texten, gelingt es ihnen, die existenziellen Situationen von Tod und Angst zu erfassen. Aber das können nichtreligiöse literarische Werke genauso gut und besser.

DZ: Genugtuung ist auch ein existentielles Gefühl.

JPR: Aber ich empfinde vor Gericht keine Genugtuung. Ich sitze da. Und da sitzt der Angeklagte. Und ich denke mir: Okay, wenigstens das.






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