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Lieber oder liebe Elsi, meine Reaktion und Assoziation zu Deiner einschlägigen These vom 23.7.1999: »Es flüchten sich nur die Leute in die Religion, für die die Realität zu kompliziert ist.«
Ehe man so einen pauschalen Satz formuliert, muss man erst Mal klar machen, was man selbst unter Religion versteht. Das Wort bedeutet »Rückbindung«. Wenn es um Rückbindung geht, dann stellt sich die Frage, woran bindet sich da einer zurück? Nur dann lässt sich entscheiden, ob die Rückbindung, die da praktiziert wird nun tatsächlich eine Flucht aus der Realität ist oder vielleicht eben auch nicht. Eine solche Rückbindung wird freilich nur dann keine Realitätsflucht sein, wenn diese Rückbindung eben keine Rückbindung an eine Irrealität ist, sondern eine Rückbindung an eine Realität. Das kann es doch wohl auch geben, eine Rückbindung an die Realität! Hier muss ich allerdings dem assoziations-blaster-Autor »dave« Recht geben, der fragt, warum so viele Leute das Christentum mit der Kirche verwechseln. Man darf echte Religiosität gewiss niemals mit Dogmatismus verwechseln. Ich finde, dass echte Religiosität grundsätzlich immer ohne Dogmatik, vor allem aber ohne eine aggressive, gewaltbereite Verteidigung ihrer Lehre auskommt.
Ich bezeichne mich als religiösen Menschen, denn ich kann nicht behaupten, dass ich etwa nur aus gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis heraus leben würde oder leben könnte. Und ich kann auch nicht leugnen, dass es Situationen oder Momente gibt für mich, in denen mir die Realität tatsächlich zu kompliziert wird. Oft brauch ich verdammt einfach, simple Antworten, um mit meinem Leben zurecht zu kommen. Dass geht Dir, liebe/r »Elsni« offenbar nicht anders, denn Deine These »Es flüchten sich nur die Leute in die Religion, für die die Realität zu kompliziert ist« ist ungemein simpel und ensetzlich vereinfachend, angesichts der Komplexität und Kompliziertheit der Realitäten, die Du durch sie ansprichst. Nur ist es mir, wie Dir, wichtig, dass ich mich in meinem Glauben nicht auf bloße Phantasien, autoritäre Vorgaben oder sonstige Irrealitäten beziehe. Ich würde glatt so weit gehen festzustellen, dass der Gott, an den ich glaube unumwunden identisch ist mit dem, was Du die Realität nennst. Die »nüchterne«, »blanke«, »unverblümte« Realität unseres alltäglich doch so überaus ungewöhnlichen Lebens - ist die nicht immer noch geheimnisvoll, unfassbar und unergründlich - und auch unheimlich - genug?
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