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baumhaus schrieb am 24.2. 2008 um 19:34:13 Uhr über

Vorlesung

Theoretische Informatik, fortgeschrittenes Semester. Der Professor steht vorn und streift sich mit seinen Kreidefingern die Haare nach hinten, die davon schon strähnenweise ganz grau sind. Seine Schmierschrift an der Tafel kann keiner lesen. Nicht nur, weil sie einfach nicht leserlich ist, sondern weil seine Art, die Tafel zu wischen dermaßen unausgereift ist, daß mindestens 30 Prozent des Geschriebenen nicht gelöscht wird und so als Unterlage für die neuen Zeilen wird. Es geht um Kruskal, Dijkstra, Ford & Fulkerson. Der Professor malt dämliche Kringel, die Knoten sein sollen. Und als Kanten kann er natürlich keine geraden Striche malen, sondern muss kunstvoll geschwungene Linien zaubern, die auch den Rest von Übersichtlichkeit zunichte machen. Nach spätestens 10 Minuten Vortrags verheddert er sich planmäßig in seinen eigenen Gedankengebilden. Das merkt man daran, dass er auf einmal realisiert, dass er in einem Hörsaal steht und ein (wenn auch sehr dünnes) Publikum hat. Da er selber verunsichert ist - was sogar der sozialinkompetenteste Informatiker bemerkt - stellt er sich fragend auf und will die Lösung, die er nun selber nicht kennt, von den genialistischen Herren in den ersten drei Reihen wissen (ja, Herren: Damen sind in seinen Veranstaltungen die absolute Ausnahme). Zuweilen kommt es vor, dass Mathematiker mit von der Partie sind. Die halten natürlich seine Herangehensweise für nicht nachvollziehbar, aus mathematischer Sicht natürlich. Und hätten natürlich alles ganz anders gemacht, und außerdem erübrigt sich der Beweis ohnehin, weil es ja noch da und dort einen Satz gibt. Sitzt kein Mathematiker in der Runde, fängt die Diskussion an. Der Prof.: »Erklären Sie das- Student: »Wir haben doch schon logarithmische Laufzeit, warum müssen wir denn noch beweisen, dass es in quadratischer Laufzeit auch geht, ist doch voll Zeitverschwendung
Nach zwanzigminütigem Intermezzo macht der Prof. eine radikale Kehrtwende, blättert im Skript und fängt das nächste Kapitel an, in das er sich so sehr vertieft, daß er wieder nicht merkt, wenn die Vorlesung zu Ende ist. Wenn nach 5 Minuten überziehen die ersten ihre Plätze räumen, schaut er so unverständlich daher wie ein Fisch, dem man das Wasser aus dem Aquarium ablässt. Hatte er doch gerade erst angefangen, seinen eigenes Chaos zu verstehen...


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