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mcnep schrieb am 27.5. 2008 um 18:01:35 Uhr über

Potlatch

Hat die Möglichkeit des Wachstums oder Erwerbs ihre endgültige Grenze erreicht, so wird der Gegenstand der Habgier jeder isolierten Existenz, die Energie, zwangsläufig freigesetzt: freigesetzt unter dem Deckmantel der Lüge. Die Menschen belügen sich nämlich, indem sie diese Freisetzung auf das Interesse zurückzuführen versuchen: denn diese Freisetzung reißt sie viel weiter fort. Sie lügen also in jeder Hinsicht. Die individuelle Akkumulation der Energiequellen ist prinzipiell der Zerstörung geweiht: die Individuen, die sie vollstrecken, besitzen diesen Reichtum, diesen Rang nicht wirklich. Unter primitiven Umständen entspricht der Reichtum immer jenen Munitionslagern, die so eindeutig Vernichtung und nicht Besitz eines Reichtums bedeuten. Das Bild paßt nicht weniger für die ebenso lächerliche Wahrheit des Rangs: auch er ist eine explosive Ladung. Ein Mensch von hohem Rang ist ursprünglich nur ein explosives Individuum (explosiv sind alle Menschen, aber er ist es in besonderer Weise). Natürlich versucht er, die Explosion zu vermeiden, wenigstens zu verzögern. Deshalb belügt er sich selbst, indem er seinen Reichtum und seine Macht lächerlicherweise als etwas betrachtet, was sie nicht sind. Gelingt es ihm, sich ihrer friedlich zu erfreuen, geschieht das um den Preis der Verkennung seiner selbst, seiner wahren Natur. Zugleich belügt er aber auch alle anderen, denen gegenüber er weiterhin eine Wahrheit affirmiert (seine explosive Natur), der er gerade zu entgehen sucht. Allerdings wird er sich in seine Lügen verstricken: der Rang wird auf eine Erleichterung der Ausbeutung, eine schändliche Profitquelle reduziert werden. Diese Erbärmlichkeit kann die Bewegung des Überschwangs in keiner Weise unterbrechen.
Langsam oder plötzlich schwitzt die Bewegung des Reichtums die Energiequellen as und verzehrt sie, gleichgültig gegenüber Absichten, Weigerungen und Lügen. So merkwürdig es oft scheint, aber die Ressourcen sind nicht nur ausreichend: wenn sie nicht mehr gänzlich auf produktive Art verbraucht werden können, so bleibt gewöhnlich ein Überschuß zurück, der vernichtet werden muß. Dem Potlatsch gelingt diese Verzehrung auf den ersten Blick schlecht. Die Zerstörung der Reichtümer ist bei ihm nicht die Regel: sie werden im allgemeinen verschenkt, und damit wird der Verlust auf den Schenkenden begrenzt; der Gesamtreichtum bleibt erhalten. Aber das scheint nur so. Der Potlatsch läuft zwar selten auf Handlungen hinaus, die in allen Punkten dem Opfer gleichen, aber er ist nichtsdestoweniger die komplementäre Form einer Institution, die etwas der produktiven Konsumption entziehen will. Das Opfer entzieht der profanen Zirkulation nützliche Produkte; die Geschenke des Potlatsch mobilisieren im Prinzip Gegenstände, die von vornherein nutzlos sind. Die archaische Luxusindustrie ist die Grundlage des Potlatsch: diese Industrie vergeudet offensichtlich die Energiequellen, die die verfügbaren Mengen menschlicher Arbeitskraft darstellen. Bei den Azteken sind es kostbare Mäntel, Hüfttücher, Frauenhemden. Oder bunte Federn, bearbeitete Steine, Muscheln, Fächer, Schildpattstäbchen, gegerbte und verzierte Felle wilder Tiere. In Nordwestamerika werden Boote und Häuser zerstört, Hunde und Sklaven erschlagen; das sind nützliche Reichtümer. Aber ihrem Wesen nach sind die Geschenke Luxusgüter (anderswo werden Nahrungsmittel sofort für den nutzlosen Verzehr der Feste bestimmt).
Man könnte sogar sagen, daß der Potlatsch die spezifische, bezeichnende Form des Luxus ist. Auch jenseits archaischer Formen hat der Luxus nämlich den funktioniellen, rangbildenden Wert des Potlatsch behalten. Der Luxus bestimmt immer noch den Rang dessen, der ihn zur Schau stellt, und es gibt keinen höheren Rang, der nicht einen gewissen Pomp erfordert. Aber die kleinlichen Kalkulationen derer, die sich des Luxus erfreuen, werden von allen Seiten umgestürzt. Was trotz dieses Betrugs im Reichtum leuchtet, verlängert den Glanz der Sonne und bringt Leidenschaften hervor: das ist nicht das, was sich jene vorstellen, die ihn auf ihre Armut reduziert haben, es ist die Rückkehr des unermesslichen Lebens zur Wahrheit des Überschwangs. Diese Wahrheit vernichtet alle, die ihn als das behandeln, was er nicht ist; das mindeste, was man von ihm sagen kann, ist, daß die gegenwärtigen Formen des Reichtums diejenigen, die sich für seine Besitzer halten, dem Verfall überliefern und zum Gespött der Menschheit machen. In dieser Hinsicht ist die heutige Gesellschaft eine riesige Mißbildung, dergegenüber jene Wahrheit des Reichtums hinterrücks zum Elend übergegangen ist. Der wirkliche Luxus und der eigentliche Potlatsch unserer Zeit fällt dem Elenden zu, will heißen, demjenigen, der sich auf der Erde ausstreckt und verachtet. Authentischer Luxus verlangt vollständige Verachtung der Reichtümer, die düstere Gleichgültigkeit dessen, der die Arbeit verweigert und dessen Leben einerseits den Glanz des grenzenlosen Ruins, andrerseits eine stillschweigende Beschimpfung der beflissenen Lügen der Reichen darstellt. Jenseits militärischer Ausbeutung, religiöser Mystifikation und kapitalistischer Unterschlagung könnte niemand mehr die Bedeutung des Reichtums wiederfinden und das, was er an Explosionen, Verschwendungen und Überschwang verspricht, wenn es nicht den Glanz der Lumpen und den düsteren Trotz der Gleichgültigkeit gäbe. Wenn man will, ist durch die Lüge der Überschwang des Lebens schließlich der Revolte vorbehalten.

Georges Bataille, Der verfemte Teil, in: Die Aufhebung der Ökonomie S. 109


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