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Schömberg hatte sich eine Flasche Rotwein aufgemacht - um halb neun am Samstagabend durchaus legitim, und mit 3,99 Euro für die Flasche auch durchaus noch im Rahmen von Schömbergs Budget. Es verblüffte Schömberg von Monat zu Monat sowieso aufs Neue, wie leicht es ihm viel, mit wenig Geld auszukommen. Von den 50 Euro, die er sich pro Woche genehmigte, blieben häufig sogar noch 5-10 Euro übrig, die Schömberg mit religiöser Sorgfalt in einem kleinen Glas mit Schraubverschluß sammelte. In dem Glas war rotes Pesto gewesen - Schömberg hatte es ebenfalls mit großer Sorgfalt ausgewaschen. Früher, zuhause - da war Schömberg ohne weiteres imstande gewesen, am Samstagabend vor dem Fernsehn zwei Flaschen wegzugluckern. Heute indessen reichte eine Flasche mindestens für zwei Tage. Schömberg trank so wenig, daß er bei warmem Wetter nicht umhin kam, die offene Rotweinflasche sogar in den Kühlschrank zu stellen, damit sie bzw. ihr Inhalt noch eine zweite Nacht überleben sollte. Er trank sehr langsam, spürte jeden einzelnen Schluck in seinen Adern - »Ich vertrage ja garnichts mehr!« sagte Schömberg nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu seinem Arzt. Schömberg machte sich Sorgen - war das der Anfang vom Ende einer Säuferleber ? Doch der Arzt beruhigte ihn. Seine Leberwerte seien vollkommen in Ordnung. Es sei im Gegenteil die gesunde Lebensweise, die Schömberg sich angewöhnt hatte, die kalten Bäder und Duschen, die fleischarme, zu erheblichen Anteilen roh verzehrte Kost, die um die Hälfte reduzierten Mengen, die Schömberg aß - »Ist doch ganz logisch, daß sie da von 2 Glas Rotwein blau werden, Schömberg !« Und da freute sich Schömberg sogar ein bischen darüber. Eine enorm gesteigerte Lebensqualität war das doch, wenn er sich nun an dem nasskalten Juliabend mit einem Glas Rotwein aufs Sofa und unter seine Wolldecke kuschelte, und in einem Buch herumblätterte. Er spürte mit jedem Schluck diese angenehme Wärme, eine gewisse Geschmeidigkeit, Samtigkeit seines Körpergefühls, die sich allmählich aufbaute, und ihn, wie Schömberg wußte, auch ins Bett begleiten würde. Dieses Gefühl von Alkohol kannte er garnicht - wenn er früher seine 1-2 Flaschen gesüppelt hatte, war er einfach nur angenehm blau gewesen, hatte Bettschwere.Das Buch, in dem Schömberg blätterte, war dasselbe wie gestern und vorgestern: »Bildung« von Dietrich Schwanitz - ein Geschenk seiner Frau, daß er zuerst nur anstandshalber gelesen hatte. Er war überrascht, wie lebendig es geschrieben war, und hatte es zwei Jahre später nochmal gelesen, bevor es entgültig im Bücherschrank im Wohnzimmer verschwunden war. Nun lag es seit Ostern wieder neben ihm - auf dem Sofa und im Bett. Er konnte garnicht sagen, wie oft er es gelesen hatte seither. »Irgendwie ist es mit den Büchern wie mit dem Rotwein!« dachte Schömberg und lachte für einen Moment.
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