Wirsindnichtliebevoll

meine geschwister lesen mich auch nicht. und meine nachhilfenichte wirft das Heft mit den beiden präzise und sauber ausgearbeiteten Aufgaben eine Hyperbel zu analysieren ungelesen in irgendeine Ecke, ich hatte Stunden Arbeit damit alles aufbauend zu erklären, ach, zwei ganze Tage, die ersten Versionen habe ich immer wieder verbessert, es sei das Thema in der Schule, und sie kann es nicht, weil sie gewohnt ist das man es ihr mündlich fünfmal erklärt und sie gar nicht üben muß, und dann kommt das Thema wieder dran, ein halbes Jahr später und ich sage, da, in dem Heft das ich dir gab steht alles drin, und sie, sie würde das nicht finden, sie habe das verlegt,
und ich dann nur noch mmhh, weil,
vielleicht taugt sie eines Tages mal dazu mir einen Einkauf zu erledigen, aber selbst das will gelernt sein, da ich sehr genau schaue, was ich will, auf ein paar Dinge achte, ztm Beispiel habe ich das abgepackte Körnerbrot aus der Kiste von untendrunter rausgeholt, das war glatt sechs Tage länger haltbar.

Was für ein hierarchischer Plural, schmacht. Mutter betont, wie viel sie arbeitet und dass sie sich jetzt dadurch irgendetwas verdient hätte. Nur dass sie vergessen hätte um Selbstbestimmtheit zu kämpfen. Dafür sei es jetzt zu spät. »Wirsindnichtliebevoll«, sagt sie. Ob das das Gleiche ist? Sie hat Angst davor, etwas von mir im Internet zu lesen. Wahrscheinlich ist es tatsächlich das Gleiche. Im Übrigen ist es mir inzwischen egal, ob sie mich liest. Sie liest mich ja nicht mal auf Papier, nicht mal, wenn ich mich mit Sarah Kirsch vergleiche. Endzeitstimmung ist das. Leichengießen kann nicht deprimierender sein. Es ist sogar soweit, dass ihr Sarah Kirsch egal ist. Goethe hatte dann wenigstens noch »Mehr Licht!« geschrien.