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Yves Marquard schrieb am 29.3. 2025 um 12:50:16 Uhr über

Deutschlandstil

Verkleidung als Verdrängung

Ein Essay über Deutschlands modische Selbstvermeidung – mit Zeitleiste



Wenn Kleidung ein Spiegel der Seele ist,
dann hat Deutschland seine reflektierende Oberfläche lange abgeklebt.
Denn Stil war hier nie Spielsondern eine Art
Schutzmaßnahme gegen Sichtbarkeit.
Und Mode wurde nie gefeiert, sondern stets moralisch abgefragt.

Was folgt, ist eine Reise durch Stoffe, Schnitte, Silhouetten
und ein Blick auf das, was sich darunter verbirgt.



1940er–1950er: Trümmer & Übergang

Ich bin damehr nicht.“

Nach dem Krieg war Kleidung keine Wahl.
Man trug, was überlebte.
Jacken wie Sorgen. Schuhe mit Vergangenheit.
Der Körper war beschädigt, das Begehren unterdrückt.
Mode als Lust war schlicht unanständig.
Stattdessen: Schutzschichten aus Not.



1950er–1980er: DDRKollektiv in Kittelschürze

Schönheit jaaber bitte mit Plan.“

In der DDR wurde Kleidung zentral entworfen, verteilt, begrenzt.
Stil war verdächtig, Individualität eine logistische Störung.
Und doch: Zwischen Dederon und VEB-Baukasten entstand ein Widerstands-Design,
nähend, färbend, umfunktionierend.
Mode wurde zur stillen Sabotage des Gleichschritts.



1960er–1970er: Westdeutschlandder zögerliche Aufbruch

Wir wollen auchaber sicher.“

Minirock trifft Moral.
Cord trifft Karohose.
Man testete Freiheitaber mit Helm.
Die Mode wurde bunter, gewagter, körperlicher –
doch sie blieb stets: kontrolliert.

Die Lust kam, aber nur bis zur Haustür.



1980er: Glanz & Griff

Ich will Wirkungaber sie soll karrierefähig sein.“

Powerdressing. Aerobic. Schulterpolster wie Statussymbole.
Der Körper trat wieder aufaber im Dienst des Systems.
Eleganz wurde erlaubt,
aber nur, wenn sie strukturiert, kapitalisiert und kontrolliert war.

Im Osten: stagnierende Uniformität.
Im Westen: polierte Fassaden mit Leasingvertrag.



1990er: Einheit im Jeanshemdenchaos

Wer bin ichund wenn ja, in welcher Jacke?“

Die Mode nach der Wende: zusammengewürfelt, verwirrt, westfixiert.
Buffalos, Billiglabels, der erste Urban Look.
Es war alles erlaubt
und darum blieb so vieles unentschieden.

Kleidung wurde zur Identitätssuche im Schlussverkauf.



2000er: Hoodie-Heimat

Ich bin casual. Sag mir nichts.“

Streetwear kamdoch Deutschland verstand: den Pullover.
Genderneutral, bequem, meinungsarm.
Mode wurde globalund hierzulande:
maximal praktikabel.

Ein Jahrzehnt des textilen Rückzugs ins Mittelgrau.



2010er: Die moralisch gewebte Ära

Ich bin nicht schönich bin bewusst.“

Nachhaltigkeit. Genderfreiheit. Oversize.
Mode als Ethik.
Jedes Kleidungsstück eine Entscheidung gegen das System
oder ein Ersatz für den Charakter.

Schönheit wurde verdächtig.
Körperlichkeit: verdünnt.
Farbe: optional.
Ironie: abgemeldet.



2020er: Das Haltungskleid

Ich trage Verantwortung. Und keine Form.“

Das Haltungskleidist das Symbol dieser Gegenwart:
weit, korrekt, zertifiziert.
Es bedeckt den Körper und gleich auch das Begehren.
Es ist der modische Endpunkt einer langen Geschichte der Entsinnlichung.

Schwarz, Beige, Graudie Farben der inneren Fußnote.



Zukunftsszenarien: Mode 2035+

Szenario 1: Die digitale Textilhaut

Mode wird Projektionsfläche. Alles ist Filter.
Kleidung? Ein QR-Code zur Selbstdarstellung.

Szenario 2: Die Rückkehr zur Eleganz

Junge Generationen befreien sich von Stilverboten.
Schönheit wird wieder erlaubt. Körper wieder sichtbar.

Szenario 3: Der Einheitslook 2.0

Kleidung wird entkoppelt von Ästhetik.
Alle tragen das Gleiche. Aus Bequemlichkeitnicht aus Überzeugung.



**Fazit: Deutschland hat nie Mode getragen.

Deutschland trägt Geschichte.**

Von der Trümmerjacke bis zum Haltungskleid
zieht sich ein Faden aus Schuld, Angst und Sehnsucht
nach Ausdruck, nach Form, nach Erlaubnis.

Vielleicht braucht dieses Land keine neue Kollektion.
Sondern endlich:
einen ersten, freien Blick in den Spiegel.



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