Für die Generation unserer Eltern war es noch ein ganz alltäglicher Anblick: Ein Teenager hatte sich einem Erwachsenen widersetzt und dafür – klatsch – kurzerhand eine Ohrfeige bezogen. Dabei war es ziemlich unerheblich, ob es sich dabei um die eigene Mutter, den Vater oder irgend eine andere Person handelte, die der Meinung war, dass die Betreffende „über die Stränge geschlagen“ hatte.
Niemand hätte sich seinerzeit umgedreht. Kein Mensch hätte sich aufgeregt. Kein Passant hätte auch nur daran gedacht, dazwischen zu gehen und einzugreifen. Wer nicht hören will, muss fühlen, lautete die allgemeine Einstellung, und eine Ohrfeige war das Mindeste. Und wenn es einen Kommentar gegeben hätte, dann höchsten in dem Sinne von „Wenn das meine Tochter wäre, die würde zu Hause noch eine ordentliche Tracht Prügel kriegen.“ Denn es musste ja einen Grund geben, weshalb die Betreffende auf offener Straße geohrfeigt wurde und mit der vorlauten Jugend von heute konnte man gar nicht streng genug umgehen.
Es war eine Zeit, als Jungen und Mädchen noch getrennte Schulen besuchten und niemand etwas dabei fand, wenn sowohl Schüler als auch Schülerinnen vor versammelter Klasse bestraft wurden. Die Zeit, als sie zu Hause besser niemand etwas davon erzählte, wenn sie den Stock zu spüren bekommen hatte. Im Gegenteil, sie war froh darüber, dass ihr knielanges Kleid die unübersehbaren Striemen bedeckte, die sich über ihren Po und ihre Schenkel zogen. Denn wenn Mutter davon erfuhr, würde das nicht nur eine Woche Hausarrest bedeuten. Es würden auch die gefürchteten Worte Fallen „Ware nur, bis dein Vater nach Hause kommt.“ Denn Vater war eine Respektsperson in jenen Tagen. Ein Mann, vor dem sich junge Mädchen fürchteten, bis sie das heiratsfähige Alter erreicht hatten. Ein strenger Hausherr, der nichts durchgehen ließ und natürlich darauf bestand, sich seine Tochter mal wieder „ordentlich vorzunehmen“, wenn sie ihre Hausaufgaben vergessen oder gar den Unterricht gestört hatte.
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