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Penelope schrieb am 5.2. 2001 um 09:13:29 Uhr über

Ithaka

Am dreißigsten Tag, nach dem Tod meines Fürsten, als die Zeit der Opfer und Leichenspiele
vorüber war und keiner mehr fragte, was nun mit mir der Herrin, geschehen werde, legte ich meine Sandalen ab, zog den Schleier tiefer übers Gesicht und verließ kurz vor Mitternacht, während die Dienerschaft schlief, die Burg durch den rückwärtigen Ausgang. Einzig unsere Wachhunde
bemerkten mich, sprangen wedelnd heran und begleiteten mich eine Weile durchs Dunkel, bis ich ihnen zurückzubleiben befahl. Dann quetschte ich mich durch die längst ausgekundschaftete
Mauerlücke hinter dem Stall und stand, auf einmal überraschend allein, jenseits der Umfriedung unter einem Himmel wild dahintreibender violetter Wolken. Ein solcher Himmel konnte nichts Gutes verheißen. Dennoch war ich entschlossen, von diesem Augenblick an meinen Namen zu vergessen und eine Fremde zu sein.
Abenteuer, das wußte ich, werden im fortgeschrittenem Alter nicht mehr geplant. Man läßt sich von ihnen überraschen und erinnert sich höchstens daran, daß früher manches weniger umständlich war. Zumindest erscheinen die meisten Wege inzwischen wesentlich länger. Wahrscheinlich weil die eigenen Schritte etwas kürzer geworden sind. Ganz zu schweigen von den Tölpeleien der zunehmend aus dem Lot geratenden Orientierung. Also wunderte ich mich auch nicht, daß ich damals den Weg zum Hafen hinab nicht gleich fand. Ich stolperte durch die Zistrosen und Thymianpolster und war insgeheim froh, daß mir der Rocksaum beim Hängenbleiben in den Dornen zerfranste; in einem derart abgerissenen Aufzug, noch dazu barfuß und ohne Schmuck, den ich sonst zu tragen pflegte, würde mich niemand erkennen.

Auf halbem Weg hügelabwärts legte ich mich für eine längere Zeit in eine Sandkuhle und sah den Wolken zu, wie sie sich über den Mond wälzten, und wie der Mond unter ihnen in die entgegengesetzte Richtung schoß. Nie zuvor hatte ich mich so weit von mir selbst entfernt gefühlt, so abgelöst von der Vergangenheit. Der Sand, auf dem ich lag, wirkte beruhigend. Ich streichelte ihn, ließ ihn spielerisch durch die Finger rieseln, und wenn ich ein Steinchen dazwischen erwischte, warf ich es hinter mich. Ganz fern war das Meer zu vernehmen, das mich morgen davon tragen würde, schläfriges Rauschen hinter dem nahen, hastigen Grillengezirpe. Niemand kam. Niemand suchte mich. Niemand sollte mich finden. Bis die Fischer an ihren Booten herumzutakeln begännen, konnte ich trödeln, erst im Morgengrauen würden die Fährleute heranschlendern, und ich würd den ersten bestechen, mich mitzunehmen, auf welche Nachbarinsel auch immer. Nur weg von Ithaka, weg.



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