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mcnep schrieb am 21.6. 2003 um 11:55:03 Uhr über

Rembetika

Die Geschichte beginnt wie so oft mit Imperialismus, Vertreibung und Völkermord: Nachdem 1921 die Griechen versucht hatten, sich aus der Erbmasse des untergegangenen osmanischen Reichs einige schöne Stücke herauszutrennen, erfolgte zwei Jahre später die Gegenreaktion der Jungtürken unter Kemal Atatürk und es kam zum Massaker von Smyrna. Diese Stadt, das heutige Izmir, Jahrhunderte unter griechischem Einfluß an der türkischen Küste gelegen, wurde von Atatürks Truppen eingenommen und gebrandschatzt, die griechische Bevölkerung wurde wie auch in Istanbul ermordet oder vertrieben, die Gesamtzahl der Todesopfer und Flüchtlinge kann nicht mehr geschätzt werden, sie dürfte sich aber in einem deutlich sechsstelligen Bereich bewegen. Diese orientalischen Griechen, zuvor oftmals angesehene Händler und Stadtbürger, waren gezwungen, unter denkbar schlechten materiellen Voraussetzungen in ihr Mutterland zurückzukehren und siedelten sich vornehmlich in Piräus und Thessaloniki an. Wenn sie auch kaum persönliche Habe mitnehmen konnten, so brachten sie doch eine eigenständige Kultur mit, die sich in den folgenden Jahrzehnten zu der bemerkenswerten Kultur der Rembetika entwickelte.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle in dieser urbanen Subkultur spielte das Haschisch, zumeist durch die Nargilêh, die türkische Wasserpfeife geraucht. Man traf sich in der Kneipe (tekke), den heutigen Coffeshops nicht unähnlich, rauchte den lieben langen Tag in wehmütigem Gedenken der verlorenen Heimat und vertrieb sich die Zeit mit dem Singen von Liedern, die sich inhaltlich und formal deutlich von klassischen griechischen Volksliedern, den Dhimotika, unterschieden. Sie beruhten auf orientalischen Skalen, den sogenannten Dromoi und wurden auf Instrumenten gespielt, die die Rembetes (aus dem türkischen Wort für 'Rebell' abgeleitet) aus Kleinasien mitgebracht hatten, an erster und populärster Stelle die Bouzouki, ursprünglich eine türkische Langhalslaute sowie Hackbrett, Klarinette und Santur. Die Sänger und vor allem die Sängerinnen der ersten Generation wie Rosa Eskenazi, Marika Papagika und Rita Abaci genossen eine divengleiche Verehrung, wobei ihre Texte oftmals von einer Deutlichkeit waren, die konservativen Hörern heute noch gelegentlich die Schamesröte ins Gesicht treibt. Doch Stichwort konservativ: Revolutionär im politisch linken Sinne war ein Anhänger des Rembetiko, ein sogenannter Manga nicht. Aus ihrer türkischen Diaspora hatten sie einen schon fast übersteigerten Ehrbegriff mitgebracht, ein mitgeführtes Messer gehörte zum guten Ton, und schon ein versehentlicher Tritt eines Fremden auf die gutgeputzten Schuhe, den oftmals bis zum Boden herabhängenden Schmuckgürtel oder ein falscher Blick auf die Freundin konnte Mord und Totschlag auslösen, auch ein Internationalismus war ihnen nach den traumatischen Erfahrungen mit ihren türkischen Nachbarn eher fremd. Eine Frau wie die große Sotiria Bellou, die bekennende Spielerin, Lesbe und Kommunistin war, blieb selbst in der skurrilen Gesellschaft der Rebetes ein bunter Vogel. Schon ab den 40er Jahren setzte zunehmend die Repression, vordergründig mit dem nunmehr unter Strafe gestellten Haschischkonsum begründet, ein. Zugleich verschwand in der Rembetikakultur der zweiten und dritten Generation zunehmend das Wissen um die dromoi, und die Musik verflachte zu jenem ununterscheidbaren Einheitsgemisch, das wir heute noch gerne als die typische griechische Musik anzusehen bereit sind. Wer heute in Griechenland eine 'traditionelle' Kneipe aufsucht und dort für ein relativ moderates Entgelt einen Stapel Teller zum ausgelassenen Zerdeppern bei Musikbegleitung erwirbt, tut dies zwar noch in halbbewusstem Gedenken an diese einzigartige europäische Undergroundbewegung, allen Wiederbelebungsversuchen zum Trotz muß der Rembetiko jedoch als eine abgeschlossene Musikepoche gelten, ähnlich wie von Blind Lemon Jefferson bei allem Wohlwollen kein Weg zu Joe Cocker führt.


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