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tootsie schrieb am 6.11. 2013 um 23:08:12 Uhr über

schlimm

Die gesellschaftliche Lage in Deutschland ist schlimm. Warum? Weil die Atmosphäre vergiftet ist!

Und alle erwarten von mir, dass ich meine Lage schlimm finde. Ich finde MEINE Lage aber nicht schlimm.

Ich habe einfach alles, was ich brauche..! Ich bin sogar finanziell unabhängig. Das bedeutet, dass ich bei gleichem Lebensstandard ein Jahr von meinen Ersparnissen zehren kann.

Ich suche nur nach Gründen, warum ich meine Lage schlimm finden kann.

Eigentlich bin ich sogar sehr privilegiert. Ich kann ausschlafen. Ich muss nur darüber nachdenken, ob ich spazieren gehe oder eine Runde Rad fahre, nachdem ich mich auf Stellen beworben habe, die es nicht gibt.

Es dürfte inzwischen schwer geworden sein, mich von der Notwendigkeit zu überzeugen, eine Arbeit anzunehmen, die weniger als 15 Eus die Stunde abwirft.

Ich lebe in einer WG und bin nicht allein. Ich habe einen Partner, und das seit zehn Jahren! Ich habe keine Kinder, keine böse Frau, keine Schulden.

Und ich habe keinen Uniabschluss. Das ist das Einzige, das mich wurmt.

Es gibt eine Chance, dass ich mir einen schlecht bezahlten Job suche, um diese Scharte auszuwetzen. Auch nur deshalb, weil ich eine Krankenversicherung brauche, die nicht zwei Drittel meiner monatlichen Einnahme auffrisst.

Ich denke nämlich, dass mein Leben perfekt ist, wenn ich ein Zeugnis habe, auf dem draufsteht, dass ich kann was ich tue. Meine finanzielle Situation ließe 80 Monate Studium zu, wenn ich einen Job hätte, und ich brauche im schlimmsten Falle 18.

Andererseits: ich habe bereits ein Zeugnis, auf dem drauf steht, dass ich kann, was ich tue. Aber es ist nun mal kein Abschlusszeugnis.

Also habe ich den Prof angemailt. Der soll mir einen Bescheid ausstellen, auf dem drauf steht, was ich bisher an akademischen Meriten erworben habe.

Leider ist die Mail bei ihm im Spam gelandet, und ich fürchte, dass deshalb mein Leben nicht gut ist.

Autsch.

Mein Leben ist nicht schlimm. Ich bin der glücklichste Aufstocker, den die Welt je gesehen hat!

Und ich suche ständig nach Gründen, warum ich das nicht so sehen darf. Tja - gegen die Erziehung und kulturelle Prägung kommt man nur schwer an. Ich möchte aber nicht dermaßen geprägt sein, dass ich für fünf Euro 200 Stunden die Woche arbeite..! Dazu ist Arbeit einfach nicht schön genug. Und dumm genug bin ich auch nicht.

Aber hier kollidiert die Vernunft mit der Prägung. Auch in diesem Fall sollte ich mich fragen, wie vernünftig mein Gefühl ist. Gefühle können miese Ratgeber sein: man denke an den Übergewichtigen, das das Gefühl hat, hungrig zu sein.

Alles nur, weil ich heute morgen in die Klabusterbeerensuppe gefasst habe. Ich sollte auf regelmäßigen Stuhlgang achten, sonst kriegt das Klo Schluckauf.

Nein - mein Leben ist nicht schlimm. Ich brauche auch nicht nach Gründen zu suchen, warum es schlimm sein könnte. Ich sollte nach Gründen suchen, warum es schlimm WERDEN könnte. Das wird es nämlich. Ich muss einmal sterben - und das ist schlimm. Zumindest für mich.

Und dabei vergesse ich, das gerade alles, eigentlich wirklich ALLES okay ist.


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