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Das Arschloch schrieb am 4.9. 2006 um 12:03:46 Uhr über

Erlaubnistatsumstandsirrtum

Prüfung des Erlaubnistatbestandsirrtums an einem Beispielsfall

Emma (E) beobachtet eines Sonntagabends vom Fenster ihrer Wohnung aus, dass die ihr unbekannte Adelheid (A) mehrmals in verdächtiger Weise um E's PKW schleicht, der vor der Haustür unter einer Straßenlaterne abgestellt ist. Als A beginnt, mit einem Stock unter dem PKW herumzuhantieren, glaubt E, A sei gerade im Begriff, die unter der Karosserie des PKW verlaufenden Bremsleitungen zu zerstören. E läuft daher nach draußen und erklärt gegenüber A, sie sei festgenommen, sie müsse mit zur Polizei kommen.

A lehnt das ab. Sie weist E wahrheitsgemäß darauf hin, dass sie auf der Suche nach ihrem Kater sei, der sich unter dem Auto der E versteckt halte. E hält das für eine bloße Schutzbehauptung. Sie wendet ohne jedes Zögern bei A einen Haltegriff aus ihrem Selbstverteidigungskurs für Frauen an, um diese in ihre Wohnung zu bringen und von dort die Polizei anzurufen. Als E telefoniert und die A nur noch mit einer Hand festhalten kann, versetzt A der E einen etwas schmerzhaften Schlag vor die Brust, reißt sich los und rennt davon.



...
III. Schuld

1. Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.

2. Hauptproblem I: Irrtum der E über eine mögliche Rechtfertigung ihres Handelns bei der Festnahme der A durch § 127 StPO; sie ging davon aus, dass A eine Sachbeschädigung begangen hat.

Erlaubnistatbestandsirrtum (Erlaubnissachverhaltsirrtum/ Erlaubnistatumstandsirrtum)

(a) Vorfrage: Wäre E nach dem von ihr angenommen Sachverhalt gerechtfertigt?

E unabhängig davon, welche Anforderungen an eine Tat i.S. von § 127 Abs. 1 StPO gestellt werden (1. Meinung: Straftat muss tatsächlich begangen worden sein; 2. Meinung: dringender Tatverdacht aus Sicht eines obj. Dritten genügt), irrte sich E über die tatbestandlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes gem. § 127 Abs. 1 StPO; hätte ihre Vorstellung der Wahrheit entsprochen, lägen die Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 StPO vor:
- E hat A auf frischer Tat betroffen (= wenn der Täter bei der Tatbegehung oder unmittelbar danach am Tatort gestellt wird).
- A´s Identität war nicht sofort feststellbar (Festnahmegründe).
- erlaubtes Festnahmemittel: Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Festhaltens (+)
- Wille, zu handeln, um zu verhindern, dass sich der Festzunehmende der Strafverfolgung entzieht (+)
Folge wäre ein Erlaubnistatbestandsirrtum der E, dessen Behandlung und Folgen umstritten sind:


(b) Lösung des Erlaubnistatbestandsirrtum


(Hinweis: Das Aufzählen der Theorien - die alle nebeneinandergestellt auf der Ebene der Rechtswidrigkeit oder Schuld angesprochen werden können - ist nicht geboten.
Die Bearbeiter sollen das Grundproblem sehen und überlegen, ob sich der Irrtum eher dem Tatumstandsirrtum oder eher dem Verbotsirrtum gleichstellen lässt und entsprechend § 16 I S. 1 bzw. § 17 StGB heranziehen.) Der Gesetzgeber hat mit §§ 16, 17 StGB nur den Tatbestandsirrtum und den Verbotsirrtum geregelt. Mit beiden weist der Erlaubnistatbestandsirrtum, als Irrtum sui generis, strukturelle Gemeinsamkeiten auf, ohne mit ihnen völlig übereinzustimmen (Stratenwerth AT 4 § 9 Rn. 153).

Argumente für eine Lösung in Anlehnung an den Tatbestandsirrtum (§ 16):
1. Täter verkennt keine rechtlichen Grundsätze, er handelt an sich rechtstreu. Er lehnt sich nicht gegen die Wertprinzipien der Rechtsordnung auf.
2. Der gesteigerte Handlungsunwert - Vorsatz des Täters - wird durch das subjektive Rechtfertigungselement kompensiert. Der mangels Aufmerksamkeit herbeigeführte unerwünschte Erfolg entspricht dem Fahrlässigkeitsvorwurf.
3. Die Anwendung von § 17 führt zu Wertungswidersprüchen: Wer bewusst fahrlässig eine Sache beschädigt, bleibt straflos; wer eine Sachbeschädigung bei irriger Annahme der Voraussetzungen des § 904 BGB begeht, bleibt strafbar.

Argumente für eine nähere Verwandtschaft zum Verbotsirrtum (§ 17):
1. Täter handelt in Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung, so dass systematisch konsequent § 16 nicht anzuwenden ist. Da eine Rechtfertigung nicht die Tatbestandsmäßigkeit beseitigt, wird durch die irrige Annahme eines Rechtfertigungsgrundes nur das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ausgeschlossen.
2. Täter wird von der Appellfunktion des Tatbestandes erreicht und ist nicht ahnungslos.

Lehren, die § 16 heranziehen:
a) § 16 unmittelbar
- (modifizierte Vorsatztheorie: der Täter handelt ohne aktuelles Unrechtsbewusstsein und damit ohne Vorsatz, ihm fehlt der dolus malus (Otto § 15 II S. 216).
Kritik: mit § 17 unvereinbar.
- Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen: die Rechtfertigungsgründe sind Bestandteil eines »Gesamtunrechtstatbestandes«, die Rechtfertigungsvoraussetzungen stellen »negative Tatbestandsmerkmale« dar (Arthur Kaufmann, JZ 1954, 657 und FS Lackner, S. 192 ff.; SK-Samson Vorbearbeitung vor § 32 Rn. 7 ff.; Freund JuS 1997, 235, 238).
Kritik:- nach a.A. könnte auch danach § 16 I nur analog herangezogen werden, weil der Gesetzgeber nicht den Erlaubnissachverhaltsirrtum regeln wollte und § 16 I nur die fehlende positive Kenntnis von Umständen, aber nicht einen Gesamt-Unrechtstatbestand erfasst (Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben Vorbem. §§ 16 Rn. 18; Eser/Burkhardt I 4 S. 187).
- Regel-Ausnahmeverhältnis von Tatbestand und Rechtfertigung wird verkannt.
- Das Gesetz selbst lässt in Fällen der tatbestandsmäßigen, aber rechtmäßigen Handlung nur die Rechtswidrigkeit entfallen.
b) § 16 analog
- h.M.: eingeschränkte Schuldtheorie: es fehlt an einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat (vgl. BGHSt 3, 105, 107; 194, 196; BGH, NJW 1989, 3028.; Roxin AT I, § 14 Rn. 62).
Kritik: - hier irrelevant - es fehlt am Vorsatz bzw. Vorsatzunrecht und damit an der Möglichkeit, Teilnehmer zu bestrafen.
- a. Mng.: rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie: nur der Vorsatz-Schuld-Vorwurf entfällt, also Analogie zu § 16 I S. 1 allein in der Rechtsfolge: Keine Bestrafung wegen des Vorsatzdeliktes, sondern nur wegen eines entsprechenden Fahrlässigkeitsdeliktes, wenn den Täter ein Fahrlässigkeitsschuldvorwurf trifft. (Jescheck/Weigend, S. 464 f.; LK-Spendel § 16 Rn. 27; Wessels/Beulke AT Rn. 479; vgl. auch OLG Hamm, NJW 1987, 1034).
Hier: § 239 (-).

Lehre, die § 17 heranzieht:
- Strenge Schuldtheorie: Irrtum über rechtfertigende Umstände ist Verbotsirrtum gem. § 17, sodass bei Unvermeidbarkeit des Irrtums die Schuld entfällt (Welzel, S. 168, LK-Schroeder § 16 Rn. 52; Maurach/Gössel AT 2 Rn. 36 und 44).

Hier: Es wäre die Vermeidbarkeit des Irrtums zu prüfen.
=> E ging aufgrund des Umstandes, dass A verdächtig um das Auto herumschlich und auch unter dem Pkw herumhantierte, davon aus, dass A die Bremsleitungen zerstören würde; sie hätte aber unproblematisch selbst unter dem Auto nachsehen können, ob die Behauptung der A, sie suche nach ihrer Katze, der Wahrheit entspreche; Irrtum der E war vermeidbar => Schuld (+) => § 239 (+), fakultative Milderung gem. § 17 S. 2 i.V.m. § 49 I.

IV. Ergebnis
Je nach Lösung des Hauptproblems hat sich E nach § 239 Abs. 1 StGB
- über § 16 StGB nicht strafbar gemacht. Die fahrlässige Freiheitsberaubung ist nicht strafbar.
- bzw., wenn man sich der strengen Schuldtheorie anschließt und § 17 StGB heranzieht, gem. §§ 239, 17, 49 I StGB strafbar gemacht.


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