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Susan James schrieb am 6.10. 2001 um 20:56:06 Uhr über

Psychomechanik

Gefühle als Handlungsmotivation? - Bruch mit der Tradition

Die Auseinandersetzung darüber, in der schließlich Locke gegenüber den
Cambridger Platonisten die Oberhand behält, führt auch zu dem abschließenden
Thema des vierten Teils: dem Zusammenhang von Gefühlen und Handlungen.
James vertritt die Ansicht, dass mit den Handlungstheorien, wie sie Descartes,
Hobbes und schließlich Locke entwarfen, der endgültige Bruch mit der
aristotelisch-scholastischen Tradition vollzogen ist. In der Beantwortung der Frage
nach den Entstehungsbedingungen für Handlungen, die primär geleitet war von
dem Bestreben, die traditionelle Handlungserklärung aus den unterschiedlichen
und mitunter widerstreitenden Teilen der Seele zu überwinden, werden nicht nur
Konzeptionen einer ungeteilten, in sich vereinigten Seele entwickelt, sondern über
den dabei entstehenden Ansatz der Erklärung aus Wünschen (desires) auch die
lange Zeit treibende Spannung zwischen Aktivität und Passivität überwunden. Die
heute so selbstverständliche Vorstellung, desires als Handlungsmotive
anzunehmen, sah sich in ihren Anfängen zunächst fast unvereinbaren
Anforderungen gegenüber. Descartes konnte trotz seiner Verachtung für die in
unterschiedliche Richtungen ziehenden Seelenteile des hl. Thomas die thomistisch
leicht verständliche Möglichkeit seelischer Konflikte im Vorfeld einer
Handlungsentscheidung nicht ignorieren. Und so verlagerte er die Ursache
möglicher Konflikte in den Dualismus zwischen Körper und Geist, die beide und an
der Schaltstelle Zirbeldrüse kollidierend zur Ausprägung eines désirs ihren Beitrag
und dies unter Umständen mit verschiedenen Zielrichtungen leisten.

Der Wille als Entscheidungsträger bei Locke

James sieht diesen Vorschlag zwar mit einem Verlust an emotionalem Gehalt und
Motivationskraft von Gefühlen behaftet, betont im übrigen aber nur, dass er trotz
sonstiger Vorzüge von anderen Denkern allenfalls dem Geiste, nicht aber dem
Buchstaben nach übernommen wurde. In der Tat stammt der heute am modernsten
erscheinende Vorschlag einer Handlungstheorie von John Locke, der, den Ansatz
von Thomas Hobbes fortführend, dessen Schwierigkeit, in einem glatten
Determinismus zu enden, welcher Akteure jeglicher Kontrolle über ihr Handeln
beraubt, zu umgehen weiss. Das Ergebnis, mit dem Hobbesmechanistische
Erklärung uns zurücklässt, ist "a picture in which there is no will. There is just
passion."(S. 284). Locke gelingt es, den Willen als eigenständige und reflektierte
Entscheidungsinstanz einzurichten und ihn so von den desires abzukoppeln,
"thereby reinstating the agents control over the connection between desire and
action" (S. 285).

Keine umfassende und nicht vollständig überzeugende Darstellung

Zweifellos gelingt es Susan James mit ihrer Untersuchung, das vorliegende Bild
der frühen Neuzeit um interessante Details zu bereichern. Eine vollständige
Behandlung der frühneuzeitlichen Auseinandersetzung mit Leidenschaften und
Gefühlen wird man nicht erwarten wollen, und tatsächlich dürfte die Beschränkung
auf den Kanon der philosophischen Klassiker, trotz des modischen Interesses für
Denker wie Montaigne, ihre Berechtigung haben. Dennoch kann der Rezensent ein
gewisses Unbehagen nicht verleugnen. Denn der Versuch, die aus der
aristotelischen Metaphysik abgeleitete Spannung zwischen Aktivität und Passivität
zu einem verschränkenden Leitthema zu machen, überzeugt wenig, und James
konnte sich auf diese auch kaum verlassen. So bleibt ihr nur der Ausweg, in
mitunter fast rhapsodistischer Weise Auffassungen zu referieren, deren
Gemeinsamkeit über eine geteilte Begrifflichkeit wenig hinausgeht. Dies ist nicht
nur dem Lesevergnügen abträglich. Denn fraglich bleibt auch, was die im 17.
Jahrhundert entstehenden Zugänge zu Emotionen, ausser dass sie im Umfeld der
entstehenden Mechanik formuliert waren, verbindet und inwiefern unser bisheriges
Verständnis dieser Epoche wesentlich korrigiert werden muss. Dass die
Entstehung der Moderne auf einen Schlag und aus einem Guss erfolgte und
sämtliche früheren Ansätze damit schon beseitigt waren, das wurde schließlich nie
ernsthaft behauptet. Der Verzicht auf Leibniz, dessen späte Schriften bereits dem
18. Jahrhundert angehören, mag insofern symptomatisch sein. Denn der Mangel
einer verschränkenden Fragestellung, welche ein klares Erkenntnisinteresse hätte
vermitteln können, ist vielleicht eine schlichte Folge dieser chronometrischen
Entscheidung, sich exakt auf das 17. Jahrhundert zu beschränken, eine
Entscheidung, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt. Hätte sich James
bereit gefunden, die Theorien des 17.Jahrunderts als den Beginn einer
Entwicklung in der Beschäftigung mit Emotionen anzusehen, hätte sie also
versucht zu verstehen, wie die Denker des 17. Jahrhunderts die schottische
Aufklärung und deren Theorien des moralischen Gefühls ebenso wie die
schließlich für die Literatur so wichtige Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts
vorbereiteten, dann hätte sie sich des Beifalls einer breiten, nicht nur aus
Philosophiehistorikern bestehenden akademischen Öffentlichkeit sicher sein
können. So aber ist es ein Buch für Spezialisten geworden, das auch diese nicht
zu überschwenglicher Begeisterung hinreissen wird. Wer sich intensiv mit den
klassischen Denkern des 17. Jahrhunderts auseinandersetzen möchte, fndet in
James‘ Monographie eine nützliche, mitunter anregende Vervollständigung, eine
aufgeklärte und über Schematisierungen erhabene Ergänzung zu den klassischen
Texten selbst und den metaphysikorientierten Einführungen in diese.

Aber dass Susan James die abschließende Darstellung der Theorien der
Leidenschaften in der Neuzeit gelungen ist, das wird man nicht glauben müssen.
Und wer gar gehofft hatte, die für ihre Verstaubtheit berüchtigte Philosophie würde
sich nunmehr den Gefühlen öffnen, der wird vollends enttäuscht sein.




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