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mcnep schrieb am 24.1. 2004 um 23:22:14 Uhr über

Schlachtbank

Ein großer weißer Stier wird in die Schlachthalle getrieben. Hier ist kein Dampf, keine Bucht wie für die wimmelnden Schweine. Einzeln tritt das große starke Tier, der Stier, zwischen seinen Treibern durch das Tor. Offen liegt die blutige Halle vor ihm mit den hängenden Hälften, Vierteln, den zerhackten Knochen. Der große Stier hat eine breite Stirn. Er wird mit Stöcken und Stößen vor den Schlächter getrieben. Der gibt ihm, damit er besser steht, mit dem flachen Beil noch einen leichten Schlag gegen ein Hinterbein. Jetzt greift der eine Stiertreiber von unten um den Hals. Das Tier steht, gibt nach, sonderbar leicht gibt es nach, als wäre es einverstanden und willige nun ein, nachdem es alles gesehn hat und weiß: das ist sein Schicksal, und es kann doch nichts machen. Vielleicht hält es die Bewegung des Viehtreibers auch für eine Liebkosung, denn es sieht so freundlich aus. Es folgt den ziehenden Armen des Viehtreibers, biegt den Kopf schräg beiseite, das Maul nach oben.
Da steht der aber hinter ihm, der Schlächter, mit dem aufgehobenen Hammer. Blick dich nicht um. Der Hammer, von dem starken Mann mit beiden Fäusten aufgehoben, ist hinter ihm, über ihm und dann: wumm herunter. Die Muskelkraft eines starken Mannes wie ein Keil eisern in das Genick. Und im Moment, der Hammer ist noch nicht abgehoben, schnellen die vier Beine des Tieres hoch, der ganze schwere Körper scheint anzufliegen. Und dann, als wenn es ohne Beine wäre, dumpft das Tier, der schwere Leib, auf den Boden, auf die starr angekrampften Beine, liegt einen Augenblick so und kippt auf die Seite. Von rechts und links umwandert ihn der Henker, kracht ihm neue gnädige Betäubungsladungen gegen den Kopf, gegen den Kopf, gegen die Schläfen, schlafe, du wirst nicht mehr aufwachen. Dann nimmt der andere neben ihm seine Zigarre aus dem Mund, schnäuzt sich, zieht sein Messer ab, es ist lang wie ein halber Degen, und kniet hinter dem Kopf des Tieres, dessen Beine schon der Krampf verlassen hat. Kleine zuckende Stöße macht es, den Hinterleib wirft es hin und her. Der Schlächter sucht am Boden, er setzt das Messer nicht an, er ruft nach der Schale für das Blut. Das Blut kreist noch drin, ruhig, wenig erregt unter den Stößen eines mächtigen Herzens. Das Rückenmark ist zwar zerquetscht, aber das Blut fließt noch ruhig durch die Adern, die Lungen atmen, die Därme bewegen sich. Jetzt wird das Messer angesetzt werden, das Blut wird herausstürzen, ich kann es mir schon denken, armdick im Strahl, schwarzes, schönes, jubelndes Blut. Dann wird der ganze lustige Festjubel das Haus verlassen, die Gäste tanzen hinaus, ein Tumult, und weg die fröhlichen Weiden, der warme Stall, das duftende Futter, alles weg, fortgeblasen, ein leeres Loch, Finsternis, jetzt kommt ein neues Weltbild. Oha, es ist plötzlich ein Herr erschienen, der das Haus gekauft hat, Straßendurchbruch, bessere Konjunktur, er wird abreißen. Man bringt die große Schale, schiebt sie ran, das mächtige Tier wirft die Hinterbeine hoch. Das Messer fährt ihm in den Hals neben der Kehle, behutsam die Adern aufgesucht, solche Ader hat starke Häute, sie liegt gut gesichert. Und da ist sie auf, noch eine, der Schwall, heiße dampfende Schwärze, schwarzrot sprudelt das Blut heraus über das Messer, über den Arm des Schlächters, das jubelnde Blut, das heiße Blut, die Gäste kommen, der Akt der Verwandlung ist da, aus der Sonne ist dein Blut gekommen, die Sonne hat sich in deinem Körper versteckt, jetzt kommt sie wieder hervor. Das Tier atmet ungeheuer auf, das ist wie eine Erstickung, ein ungeheurer Reiz, es röchelt, rasselt. Ja, das Gebälk kracht. Wie die Flanken sich so schrecklich heben, ist ein Mann dem Tier behilflich. Wenn ein Stein fallen will, gib ihm einen Stoß. Ein Mann springt auf das Tier herauf, auf den Leib, mit beiden einen, steht oben, wippt, tritt auf die Eingeweide, wippt auf und ab, das Blut soll rascher heraus, ganz heraus. Und das Röcheln wird stärker, es ist ein sehr hingezogenes Keuchen, Verkeuchen, mit leichten abwehrenden Schlägen der Hinterbeine.
Die Beine winken leise. Das Leben röchelt sich nun aus, der Atem läßt nach. Schwer dreht sich der Hinterleib, kippt. Das ist die Erde, die Schwerkraft. Der Mann wippt nach oben. Der andere unten präpariert schon das Fell am Hals zurück.
Fröhliche Weiden, dumpfer, warmer Stall.

Döblin: Berlin Alexanderplatz 122ff


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