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DER GOLDENE JASTREBOFF schrieb am 18.5. 2006 um 11:14:10 Uhr über

Suppe

Ich ging in das China-Restaurant an der Ecke, denn ich wollte speisen. Der Raum war dunkelhaft, garniert mit vielerlei Ornament und Geschnitz. Lustige Drachen schlängelten sich durch die hölzern roten Balustraden, welche nach Lust und Laune und anscheinend ohne Verstand den Raum durchzogen und sich hier und da zu einer Art Paravent erhoben, so daß der einzige Punkt, an dem das Auge noch halt fand, ein riesiges Aquarium in der Mitte des Raumes war, welches grünlich geheimnisvoll schimmerte. Mir wurde schwindelig. Aus vielen Lautsprechern erklang das übliche Gesäusel. Kaum war also die zweite Tür des Durchgangs vor der Eingangstür hinter mir schwingend durch ihren Rahmen geschwungen, kam auch schon ein chinesischer Kellner, bereit mich zu Tische zu weisen. Die Tür hinter mir schwang noch etwas hin und her. Ich hing meine Polyesterjacke am Garderobenständer ab, nicht ohne mich zu vergewissern, daß sich keine Wertgegenstände mehr in ihr befänden, und folgte zu dem Tisch, zu dem mich der Chinese führte.
Gleich schlug ich die Karte auf, der Kellner verschwand wortlos, wie er gekommen war. WAN-TAN-SUPPE! Zur Vorspeise eine Wan-Tan-Suppe. Zum Hauptgericht ein Eierreisgericht. Aber zunächst die Wan-Tan-Suppe. Einige Mühe kostete es mich nun, den Kellner auf mich aufmerksam zu machen, denn mit der Entschlusskröftigkeit, mit der Behendigkeit des goldenen Jastreboff rechnet so schnell gewiss niemand. »Eine WAN-TAN-SUPPE! Und dann...«. Der Kellner lächelte. Wie? Wüßte ich denn nicht, daß die Wan-Tan-Suppe hier aus STAHL sei? »Aus Stahl? Grundgütiger, ein Witzbold!«, dachte ich noch. Ich wollte ihm keine Beachtung schenken. Möglich, möglich, daß er vor der Kündigung stand und nun seinem Chef - so wie die Dinge in solchen Restaurants gewöhnlich liegen einem Verwandten wahrscheinlich - nun noch einige Kunden vergraulen wollten. »Also bringen sie mir schon die Suppe, ihre Wan-Tan-Suppe aus...« und nun äffte ich ihn gehässig nach, » ihre Suppe aus 'Staaaahhhrrrl', wenn es ihnen keine Umstände macht!«. Der Kellner verzog keine Miene, nahm meine anderen Bestellungen auf, nahm die Karte an sich und ging.

Ich wartete nun eine ganze Weile, bevor ein anderer Kellner mit dem Besteck und meinem Getränk kam (ich hatte vergessen zu erwähnen: ein Mineralwasser, denn so gerne ich es täte, Alkohol zu trinken, das hat mir mein Arzt vor vielen Jahren bereits verboten, meine Gesundheit ist seit langem prekär), kurz darauf gefolgt von... ja, ich traute meinen Augen kaum, einem, so schien es, ganzen Tross von weiteren Kellnern, die sich vom hinteren Teil des Restaurants in Bewegung gesetzt hatten, alles in allem gut zehn Mann! Der Kellner, bei dem ich die Bestellung aufgenommen hatte, ging voran und trug feierlich, mit beiden Händen!, ein Tablett, auf dem eine große silberne Terrine stand. Ich erschrak ob des Anblicks, was ich glaube ich nicht weiter ausführen muß.
»WAN-TAN-SUPPE!«, rief der Kellner laut, obwohl er schon vor mir an meinem Tisch stand. »Jaja, guter Mann, geben sie her...«, ich wurde rot. Was für ein unsympathischer Kerl! Er stellte das Tablett langsam ab. Ich musste zu meiner großen Verwunderung beobachten, wie sich dabei die Sehnen auf seinen Handrücken wie auch in seinem Hals stark anspannten und er merklich die Lippen aufeinanderpresste, als ob er hier gerade eine recht schwere Last zu bewältigen hätte, der er äußerste Bedächtigkeit entgegensetzen mußte, um trotzdem der absetzenden Bewegung das seiner Kellnerarbeit übliche Gleichmaß zu wahren. Nachdem sein Werk vollbracht war, drehte er sich wortlos um und ging. Die anderen, die ebenso wortlos hinter ihm gewartet hatten, machten in strenger Choreographie in Zweierreihen ebenso kehrt und folgten ihm dorthin, woher sie alle gekommen waren. Ich staunte nicht schlecht. Ich sah vor mich. Auf der Terrine mit meiner Wan-Tan-Suppe war eine Art Deckel, den der Kellner nicht abgenommen hatte. »Witzbold!«. Ich nahm einen Schluck meines Wassers. Dann noch einen. Vorsichtig nahm ich die Gabel und stieß leicht an die Terrine. Ein wundersamer Klang erhob sich, dem einer angeschlagenen Stimmgabel nicht unähnlich. Er mag nah an einem eingestrichenen a gewesen sein, vor allem aber wollte er für Sekunden gar nicht mehr Aufhören. Ich lies die Gabel erstaunt fallen. Ich fuhr mir durch die Haare und fühlte Schweiß auf meiner Stirn. So ein Unfug, ich griff zu den Henkeln des Terrinendeckels...
Da erschrak ich aufs Äußerste!


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