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Die Suche nach der Wahrheit gehört zu jenen Dingen, die den Menschen antreiben. Doch werden wir je zur ganzen Wahrheit vorstoßen? Können wir das Wesen der Dinge überhaupt erfassen?
Ich habe mich mal gefragt, wie wohl Merlin, der geheimnisvolle Zauberer (?), geantwortet hätte, wenn ihm solche Fragen am Artushof gestellt worden wären. Vielleicht hätte er folgendermaßen geantwortet:
"Ihr habt mich kürzlich gefragt, wann die Weisheit der Menschen so weit reichen wird, daß sie die ganze Wahrheit erkennen werden, daß sie also nicht nur alles wissen, sondern das Wesen der Dinge vollständig erfassen werden.
Ich muß euch nun meinerseits mit einer Frage antworten: Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, ob es überhaupt des Menschen Bestimmung ist, die ganze Wahrheit zu erkennen?
Stellt euch nun vor, ihr stündet auf einer Wiese am Ufer eines Weihers im Schatten einer Weide. Was ist es, das euch erkennen läßt, daß der Weiher ein Weiher, die Wiese eine Wiese und die Weide eine Weide ist? Natürlich wißt ihr alle die Antwort: es ist das Licht der Sonne. Die Sonnenstrahlen fallen auf das Geäst der Weide, sie verleihen dem Wasser des Weihers erst seinen Glanz, so lassen das Gras grün werden. Ohne den Sonnenschein wärt ihr nur von Finsternis umgeben, nichts könntet ihr erkennen, die Dinge, die euch umgeben, ihre Formen, ihre Farben, ihre Größe blieben euch verborgen. Ohne das Licht müßtet ihr im Dunkeln herumstolpern, ganz wie ein Blinder. Erst das Licht der Sonne macht euch sehend. Dabei müßt ihr aber bedenken: was in euer Auge fällt, ist das Licht der Sonne, das zunächst auf einen Baum oder einen Grashalm trifft und von dort aus den Weg in euer Auge findet. Doch auf diese Weise erkennt ihr etwas über den Baum oder den Grashalm, und findet euch in eurer Umgebung zurecht.
Wehe aber, wenn es euch einfiele, direkt in die Sonne hineinzuschauen! Euer Auge könnte die gleißende Helligkeit nicht lange ertragen, das Licht versengte die Netzhaut, und auf die strahlendste Helligkeit folgte schon bald ewige Nacht. Ohne Licht ist das Auge hilf- und nutzlos, doch durch zuviel des Lichts wird es verödet und vermag danach gar nichts mehr zu erkennen.
So aber wie mit dem Licht verhält es sich auch mit der Wahrheit. Die Wahrheit muß die Dinge erleuchten, damit der Verstand sie deutlich genug erkennen kann, um, wie ein Steuermann auf dem Deck eines Schiffs, den Menschen sicher durch die gefährlichen Gewässer von Täuschungen und Leidenschaften geleiten zu können. Wenn der Geist dagegen von Dunkelheit umfangen ist, wenn er in der Düsternis, die Trug und Irrtum über ihm ausbreiten, versinkt, dann steuert er nicht mehr, dann läßt er den Menschen ziellos treiben, und diesen Zustand bezeichnet man als Wahnsinn.
Das Licht der Wahrheit ist also unverzichtbar, um die Dinge im richtigen Licht zu sehen, um etwas erkennen zu können, doch diese Beleuchtung läßt immer nur etwas über die betrachteten Dinge aufscheinen; wir erfassen nur kleine Teile der Wahrheit, jene, die von den Dingen reflektiert werden, und eben durch diese Reflexion wird uns etwas über die Dinge offenbart. Doch die reine, volle Wahrheit könnte unser armseliger Verstand niemals erfassen, sie zerstörte ihn, so wie das reine, ungefilterte Sonnenlicht die Netzhaut verbrennt. Wir sind armselige, unvollkommene Geschöpfe, und so bedeutete die schreckliche, gleißende und brennende Klarheit der reinen Wahrheit für uns den Wahnsinn. Die ganze Wahrheit zu erfassen, ist den Göttern vorbehalten."
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