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Die Leiche, am 13.6. 2008 um 17:19:17 Uhr
Gehirnamputation

Die ersten Tage waren vor allem anstrengend. Immer nur für wenige Minuten konnte ich mich konzentrieren, und ich mußte wirklich die einfachsten Dinge neu lernen: essen und trinken, auf's Klo gehen, gehen, sich hinsetzen, legen, aufstehen, anziehen, ausziehen ... es kümmerten sich Ergotherapeutinnen um mich, und sie waren zufrieden mit meinen Fortschritten. Sie erklärten mir, es sei ähnlich, wie bei den Patienten mit Schlaganfall. Auch da müssten sich erst wieder die Nervenbahnen voll regenerieren. Am merkwürdigsten waren stets die Momente im Badezimmer - ich mußte lernen, mich als Frau zu waschen, und als Frau meinen Arsch zu wischen. Und die Möse, die ich jetzt zwischen den Beinen hatte. Das war früher nie nötig gewesen. Da war ich einfach hinter einen Busch gegangen, hatte meinen Schwengel rausgehalten, und abgepisst. Jetzt würde das immer eine ungeheurere Aktion werden - ich mußte mich halb ausziehen, hinhocken ... meine Güte ! »Was Milliarden von Frauen können, lernen Sie auch noch !« munterte man mich auf. Am schlimmsten war es jedoch, als ich in der Nacht mit einem ziehenden Schmerz im Unterleib aufwachte, und eine kleberige Nässe zwischen den Beinen fühlte. Ich erschrak über das Blut an meiner Hand, und drückte den Knopf für die Nachtschwester, die sich das Lachen nicht verkneifen konnte. Ich hatte meine ersten Tage bekommen. »Soll ich ihn für sie reintunUnd so schob die Krankenschwester schob Tampon in meine Möse, der sich zuerst trocken und etwas kratzig anfühlte, und dann aber schnell weicher wurde, so daß ich ihn beim liegen kaum noch spürte.
Und sie gaben mir Zeitungen zu lesen. In »Bild der Wissenschaft« war eine große Serie über mich. Die erste Hirntransplantation beim Menschen. Nach den erfolgreichen Versuchen mit Katzen, Hunden und »Primaten« um das Jahr 2010 herum wurde das konservierte Hirn eines verunglückten Motorradfahrers in die Hirnschale, den Kopf, den Körper einer Frau implantiert, die sich aufgrund einer Ehestreitigkeit erschossen hatte. Tatsächlich konnte ich die Narben an meinem neuen Kopf spüren - eine auf der linken Seite, auf der das Projektil eingedrungen war, und eine auf der rechten Seite, wo es wieder herausgekommen war. Ich erfuhr, daß die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Ukraine die diplomatischen Beziehungen zu Russland stark belasteten, und Bundeskanzlerin Künast eine Erhöhung des Bürgergeldes auf 1.200 Euro aus Haushaltsrechtlichen Gründen immer noch ablehnte. Im Irak herrschten immer noch Bürgerkriegsähnliche Zustände, und der Ölpreis lag bei etwa 320 Euro pro Barrel - Euro ? Tjaja - der Dollar als Leitwährung wäre vor zwei Jahren vom Euro abgelöst worden. Und in der BILD-Zeitung waren Fotos von mir erschienen, die mich im Schwimmbad zeigten. Zur Ergotherapie mußte ich viel schwimmen. Gottseidank trug ich einen Badeanzug auf den Fotos - obwohl es sich beim Schwimmen scheusslich anfühlte. »Mann mit Frauenkörper oder Frau mit Männerhirn ? Gut sieht sie jedenfalls aus - oder erTypisch BILD-Zeitung, dachte ich. Und bei dem Gedanken, irgendwann demnächst die Uni-Klinik zu verlassen, und »da draussen« als »ganz normale Frau« zu leben, begann es mir, zu gruseln.


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