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Peter K. schrieb am 25.7. 2007 um 20:51:41 Uhr über

Totenreich

Immer häufiger erinnert mich die ehemalige DDR, in der ich nun seit 11 Jahren lebe und arbeite, an ein Totenreich - immer öfters habe ich das bedrängende Gefühl, von Untoten umgeben zu sein.

Auch heute noch, 17 Jahre nach der »Wende«, des »Beitritts« zur BRD - die Traumatisierung eines Großteils der Bevölkerung ist immer deutlicher spürbar für mich. Von einem Aufbruch in die Freiheit, von fröhlicher Hoffnung, wie sie 1990 hier verspürbar war (ich war im Sommer 1990 für einige Wochen in der vergehenden DDR gewesen) ist nichts mehr übrig geblieben.

Es ist unglaublich selten, hier Menschen zu begegnen, die authentisch wirken. Die allermeisten hier kommen einem vor, wie Schauspieler - man spürt deutlich: sie machen Dir etwas vor, sie belügen Dich, sie verbergen etwas vor Dir. Alles wirkt aufgesetzt, leicht bis schwer verkrampft in dem Bemühen, möglichst positiv rüberzukommen - oder im Gegenteil, in einer resignativen Larmoyanz des »es war nicht alles schlecht an der DDR«, die sich nach einigen Schnäpsen darin versteigt, daß der Golf ja durch die IfA erfunden worden wäre, und durch Industriespionage der BRD geklaut worden wäre.

Öffentliches Leben, »Gesellschaft« - das hat hier stets etwas künstliches, gestelltes, arrangiertes. Es gibt eine Menge von Kulturveranstaltungen, auf denen die Leute scheu um sich schauen, und schnell wieder verschwinden. Sie sind nicht gerne in der Öffentlichkeit - wenn es nicht Volksfeste sind, bei denen man sich bedingungslos vollaufen lässt.

Die Tradition des Schönredens trotz offensichtlichster Negativentwicklungen hat sich aus der DDR gut hinübergerettet ins wiedervereinigte Deutschland. Abwanderung von jungen, gut qualifizierten Leuten und Arbeitsplätzen, Vergreisung weit über dem Bundesdurchschnitt, Erstarken neonazistischer Gruppierungen - alles wird ignoriert, alles schöngelogen. Ernsthaft an diesen Problemen gearbeitet wird schon lange nicht mehr - wenn man es überhaupt jemals versucht hat.

Man hat den Eindruck, daß alle hier nur irgendwie über den Tag kommen wollen, über die Woche, um sich dann im privatesten Zirkel, in der Familie, der »Datsche« dann verschnaufen zu können, bis man das Arbeitsleben herumgebracht hat, Rente kriegt - und irgendwann stirbt. Ich glaube, der physische Tod ist für viele hier eine heimlich ersehnte Erlösung. Psychisch sind schon viele gestorben, vor einem Jahr, vor zwei, drei, vier ...

Die Jugend hier ist aufgewachsen unter Verlust jedweder Autorität. Kein Wunder - wurde doch die Identität und das Leben eines Großteils ihrer Eltern annulliert, für Verachtenswert befunden - Gegenstand diverser Bewältigungsrituale jüngster Vergangenheiten. Kein Wunder das diejenigen, die noch eine Chance sehen, die noch etwas erwarten von ihrem Leben, aus diesem Land der Zombies fliehen.


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