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mcnep schrieb am 19.5. 2005 um 15:00:35 Uhr über

unwiderruflich

Jäcki floh in die Dusche.
Die Ringer wuschen sich sorgfältig, mehrmals jedes Glied, seifend, duschend, seifend, Muskel um Muskel, einen Hoden nach dem anderen, ohne den Blick zu wenden, meditierend, als sei es das Hammam in der Wüste.
Die Greise drängten sich an der Tür.
Die unbeleuchtete Treppe.
Oben drei Kabinen.
Durch das Oberlichtfenster fiel das letzte Dämmern des Tages.
Im Vorraum lauerten die Algerier und schoben den Greisen hinten die Faltenumhänge hoch.
Einer versuchte es zart, zart, bei Jäcki.
Jäcki schlug sich die Treppe hinunter ins Helle.
Rechts von der Dusche noch zwei Kabinen.
Eine Mauer von Menschen hatte sich um einen Greis gezogen, dessen umfangreiches, faltiges Fleisch auf das kunststoffbezogene Behandlungsbett geschleudert wurde; der Greis sank aufjammernd zusammen unter den Falten des Umhangs, welche der Araber sorgfältig über sich und den Greis zog.
Die zitternden Rundungen des Arabers flogen auf unter dem grauen Tuch und stürzten hinunter in den weichen Greis.
Schneller.
Schneller ging es zuende.
Der Algerier raffte vorsichtig den Umhang beim Heruntersteigen.
Der nächste fiel über den Greis her, fünf, sechs, der wimmernd hinter dem Kunststoffkissen hervorlächelte.
In dieser Kabine war Jäcki ein Jahrhundert zu jung.
Jäcki stellte sich zu Achill an den Bierausschank.
Ein dürrer Araber stellte sich neben ihn.
Jäcki ging in den Ruheraum.
Der Algerier hinterher.
Treppauf, treppab, treppauf, von Kabine zu Kabine.
Zwischen den Betten oben klemmte er Jäcki ein.
Jäcki fühlte unter dem Tuch das Wüstenglied des Dürren und faßte dem Araber an den Hottentottensteiß.
Der Araber wollte Jäcki küssen.
Er leckte Jäcki an den Ohren.
Er sagte:
Da nicht.
Hinten nicht.
Vorne.
Alles, was du willst.
Der Araber drängelte, biß, spuckte, kitzelte mit dem Finger, hängte seinen Umhang über den Steifen und schob Jäckis Umhang hoch.
Jäcki schrie.
Jäcki hatte die Vorstellung, er sollte ausgeweidet werden.
Mit dem Dürren verkeilt stolperte er aus der Kabine.
Die Greise rückten gegen sie beide an.
Der Araber hielt ihn umzingelt.
Ein mürber Mann kniete vor Jäcki nieder.
Die letzte Flamme von Oscar Wilde.
Prousts Flieger.
Cocteaus de Max.
Er fing an, an Jäcki zu lutschen.
Ein kurzer Algerier rannte mit einem dritten Bein in der Hand immer um Jäcki und den Dürren und den Pensionär der Comédie Française herum.
Als die Schmerzen nachließen, drehte Jäcki das Mitglied des Théâtre Molière dem Bein des kurzen Algeriers hin.
Der Mime wurde doppelt erfüllt.
Jäcki merkte, wie seine Empfindungen von einem Ort zum anderen geschwemmt wurden, sosehr der geschulte Mund des greisen Schauspielers an ihm auch saugte.
Jäcki hatte das Gefühl, doppelt zu existieren.
Jäcki kam sich wie eine Hohlform vor, die ihn selbst noch einmal wahrnahm.
Als er merkte, daß der dürre Araber in ihm zu zucken begann, zuckte er auch auf im Mund des Théâtre Molière.
Jäcki bemerkte etwas neues in sich, nach einer ganzen Naturgeschichte, hier im jüngsten Gericht der Rue de Penthièvre, zwischen dem Mauermann aus Oran und dem komischen Alten der Comédie Française, gleich neben dem Elysée–Palast von Monsieur et Madame de Gaulle.
Jäcki hatte es zu Dulu gesagtnun war er doch ohne den Katalog des Paläontologischen Museums zurückgekehrt.
Das würde ich nie mit mir machen lassen.
Das war eine Lüge.
Zweimal hatte er es mit sich machen lassen.
Einmal als Geschenk an Alex, zur Generalprobe von Purpurstreifen.
Und einmal in Stuttgart, Wolfgang, aber Jäcki hatte es nicht gemerkt, es geschah wie in einem Traum, wo man die Dinge tut, ohne sie zu fühlen.
Jäcki hatte zu Dulu gesagt:
Wenn man sich daran gewöhnt, ist man verloren.
Ich denke, du läßt dich nicht, hatte Irma angemerkt.
Jetzt lasse ich mich.
Es schien Jäcki die einzige Veränderung zu sein, außer der Geburt, welche die Natur hergab.
Das war das ganz Andre.
Jetzt wußte Jäcki, daß er enden würde wie ein Schmerzensgreis der Witwe Rosa mit oblatenfarbenem Fleisch.
Jäcki verwandelte sich noch einmal.


Hubert Fichte: Eine glückliche Liebe, S. 106–Schluß


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