Die permanente Bedrohung
Über das dialektische Verhältnis von Rassismus und sozialer Frage
Rainer Trampert
Am Anfang steht meistens die Mahnung, daß linke Politik sich nicht auf Antirassismus beschränken dürfe. Es gehe um viel größere Dinge, etwa um die soziale Frage. Wenn sie in der Fiktion zur sozialen Revolution reift, erscheint der Kampf gegen Rassismus geradezu blasphemisch. Als schwarze Dealer und junkies ins Hamburger Schanzenviertel gezogen waren, warnte etwa die jobber-Initiative Blauer Montag', die Linke dürfe sich nicht auf den Kampf gegen den Rassismus konzentrieren. Eine solche Verkürzung- reproduziere die von Staat und Medien vorgegebene und in vielen Köpfen wirksame Reduzierung des sozialen Konflikts'. Aus Sorge darum sollten lieber alle im Stadtteil' für spritzenfreie Abenteuerspielplätze" mobilisiert werden.
Wer antirassistische Politik als Verkürzung abtut und im selben Atemzug den sozialen Konflikt aufs gemeinsame Spritzensammeln verkürzt, nähert sich der sozialen Befreiung so an wie eine Kolonne, die mit Besen und Schaufeln Hundescheiße aufliest. Auf diese eigenwillige Verkürzungsdialektik stoßen wir häufig. Der Gruppe geht es gar nicht um den Konflikt. Sie beseitigt ihn umstandslos, nachdem sie ihn vorher rhetorisch benutzt hatte, um den Antirassismus zu beseitigen. Man möchte mit der Masse schwimmen, sonst nichts.
Die soziale Frage verkehrt sich darüber in ihr Gegenteil. Wer ,alle im Stadtteil' aufruft, den Wohnbezirk zu reinigen, meint Linke, Geschäftsleute, Feministinnen, Sexisten, Rassisten, Säufer, Geldsäcke und Arbeitslose, eben alle'. Über den Spielplatz verkommt die soziale Frage zur lokalpatriotischen Einübung jener falschen Gemeinschaft, die den Keim des Nationalismus bildet. Mehr noch: Die Mobilisierung dieses Sammel-
suriums zieht eine gemeinsame Grenze zu Schwarzen, die sublim mit Dreck identifiziert werden. Alle Stimmen, die emphatisch die Säuberung verlangten, meinten beide: Spritzen und Schwarze. Auf einer Versammlung schlug eine Frau vor, schwarze Drogenhändler aus dem Helikopter ins Meer zu werfen', ein Mann wollte ihnen nur die Hände abhacken', einer wollte sie in der Sahara aussetzen', eine wünschte: Alle auf eine Galeere und zurückrudern.' Wer den sozialen Konflikt reklamiert, aber Masse meint, wird angesichts dieses Bewußtseins nur Hundescheiße sammeln können, während der letzte humanistische Funke baden geht und mit ihm die soziale Frage. Wenden wir uns den theoretischen Souffleuren zu. Wolfgang Fritz Haug wollte im mörderischen Rassenwahn einen entfremdeten sozialen Protest' erkannt haben. Karl Heinz Roth meinte, der dramatische Pauperisierungsprozeß' im Osten der Republik habe dort mehr und mehr zu gewalttätigen Protestformen geführt». Deshalb sei der subproletarische Rassismus sehr ambivalent'. Man dürfe nicht auf die strategische Fähigkeit verzichten, sich grundsätzlich auf alle Schichten des neuen Proletariats zu beziehen'. In den alten Materialien für einen neuen Antiimperialismus' offenbarte ein @utorlnnenkollektiv: An der Konfrontation links gegen rechts kann uns nicht gelegen sein' und wie die anderen sah man in der Gewalt der Zukurzgekommenen eine Form der proletarischen Selbstfindung unter schlechten Emblemen« aber mit produktiver Bedeutung'.
Wer in der Ermordung von Menschen, die nicht ausreichend deutsch aussehen, in dem Abrennen von Häusern, in denen türkische Familien wohnen, oder in der Verwahrlosung jüdischer Gräber eine proletarische Selbstfindung oder eine produktive Bedeutung entdecken will, sucht das Gute im Pogrom. In rassistischen Überfällen schlummert nicht der Hauch eines sozialen Protests. Sie sind im Gegenteil Manifestationen eines höchst autoritären, unterwürfigen Charakters. Die Täter schreiten zur Tat, weil sie auf das Schulterklopfen der Eltern, der Dorfbewohner, der Stammtische, der Polizei, der Naziführer und schließlich des Staates, der ihnen seit zwei Jahrzehnten erzählt, eine
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