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Zabuda schrieb am 24.7. 2002 um 19:52:36 Uhr über

ChristianKracht

ZU FRÜH,ZU FRÜH
Vietnam,1992

An einem Tisch in der Ecke saß ein Franzose vor einem Bier und einer Schale Salznüsse.Es roch nach Haschisch.Er wiegte den Kopf hin un her.Jim Morrison sang This is the end.Der Franzose bewegte die Lippen zu der Musik und versuchte,so desolat auszusehen,wie Franzosen eben gerne mal aussehen,wenn die Doors the End spielen.Als das Lied ausklang,zündete er sich einen Thai-Stick an und schaute über die Schulter,um zus ehen,ob ihm jemand zugesehen hatte.Aus den Lautsprechern kam jetzt Break on through.Der Franzose zog an seinem Thai-Stick und spielte aufeiner imaginären Gitarre einen langen,verhaltenen Riff.Und dann scheuchte er mit der Hand einen Jungen weg,der ihm die Schuhe putzen wollte.
Der Junge spuckte neben dem Franzosen aus,warf sich die blauschwarzen Haare aus der Stirn und verschwand aus der Bar Apocalyse Now in Saigon.An der schwarzgestrichenen Wand hing ein Plakat des gleichnamigen Films,von Martin Sheen handsigniert.Der vitnamesische Barkeeper nahm die Doors-Kassette aus der Anlage,legte ein Stück von Neil Young auf,dann eines von den Animals und dann eines von den Troggs.Ich trank einen Schluck Cola,dann sprach ich den Franzosen an.
»Ja«,sagte erSie haben recht.Vietnam existiert eigentlich nur im Kopf«.Er trug ein ordentlich gebügeltes Hemd.In seiner Brusttasche steckten drei KugelschreiberWenn Sie mit Ihrer klapprigen Tupolew in Saigon landen und der Flughafen so aussieht wie die Tim-und-Struppi-Flughäfen in sämtlichenBananenrepubliken dieser Welt,komplett mit finster dreinschauenden Uniformierten,klapprigen Peugots und Ford Falcons von 1962,dann hat das so seine Richtigkeit.«Genauso hat man sich Vietnam vorgestellt."
Er war ganz nett,dieser Franzose.Das war er wirklich.Er hatte ein schmales unrasiertes Gesicht und seine Augenbrauen waren sehr buschig.Er trank ein Bier,und da die Bar zur Straße hin offen war,hatte sich ein Schweißfleck vorne auf seinem Oberhemd gebildet.
»Aus dem Flugzeug können Sie Reisbauern sehen und Bombenkrater in den Reisfeldern.Und wenn ihnen das noch nicht reicht als Nervenkitzel,dann können Sie auf amerikanischen Panzern herumklettern,die der siegreiche Vietcong überall in die Landschaft gestellt hat,oder Sie können sich GI-Feuerzeuge kaufen,richtige Zippos von damals,mit markanten Sprüchen drauf,so wie man sie aus Vietnam-Filmen kennt
Er hatte sich in Fahrt geredet,wie jemand,der schon seit Ewigkeiten Haschisch raucht und davon nicht mehr müde wird,sondern aufgekratzt.Der Barkeeper legte wieder die Doors auf.
»Ah,Djeem Maurison.Seltsam nicht,daß ein Land sich über Filme und Rockmusik erfindet?!Ich bat ihn,zu erklären,was er meinte.Er stellte mir eine GegenfrageWieviele Filme über Vietnam haben sie gesehen?"
Ich dachte einen Moment nachNicht viele«,antwortete ichApocalypse Now natürlich,Platoon,Der Liebhaber.Das war´s schon,glaube ich
»Sehen Sie«,sagte erEs gibt viel mehr.Indochine,zum Beispiel,mit cathérine Deneuve.Hamburger Hill,Full Metal Jacket,The Deer Hunter,Rambo,Hanoi Hilton,Dien Bien Phu,Good Morning Vietnam,und so weiter.Und alle Filme haben es darauf abgesehen,das wirkliche Vietnam aus dem Kopf zu verdrängen
Er hatte natürlich recht.In Vietnam ist es,laut Vietnamfilm,immer heiß,immer feuch,und irgendwo schwirrt immer ein Ventilator an der Decke.Im Film laufen wunderschöne vietnamesische Mädchen barfuß durch irgendwelche Reisfelder,unergründlich lächelnd,und alle haben Handgranaten unter ihren Kleidern.


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