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SPIEGEL ONLINE schrieb am 30.11. 2003 um 19:22:47 Uhr über

Williams

Eigentlich ist »Die Glasmenagerie« ein Reißer: klare Konflikte, präzise Dialoge, Emotion im Übermaß. Trotzdem ist TennesseeWilliams' Melodram in die Jahre gekommen. Im Hamburger Schauspielhaus hat Sebastian Hartman den Schulstoff-Klassiker entstaubt - zum Glück.


Hamburg - Im Glashaus sitzen sie alle, die Wingfields: Tom, der treu sorgende Sohn und Bruder, seine leicht umnebelte Mutter Amanda und Tochter Laura, für die unbedingt der heiratswillige Mann gefunden werden muss. Vereinsamte Personen, so fragil wie die Tierfiguren in Lauras Glasmenagerie.

Unrealistisch, verletzlich, erträumt von einem Autor, der 1944 leidenschaftlich an seinem Durchbruch arbeitete und Krieg und Weltpolitik nur als Momentaufnahmen aufblitzen lässt. Eine Welt in der Welt, ein Leben, das nur für Betroffenen existiert. Regisseur Sebastian Hartmann lässt die drei Wingfields in einem drehbaren, komplett durchsichtigen und auf Stahlpfählen ruhenden Glasbungalow agieren. Mittendrin ein Baum ohne Blätter, leblos.

Mutter, Sohn und Tochter haben sich in dieser künstlichen, bedrohten Welt längst eingerichtet, sie leben »einen Traum in einem Traum«, wie die Stimme aus dem Off gleich zu Beginn des Stücks sagt. Alles kreist um sich selbst, und auch Toms Geld bringender Job in der Schuhfabrik dient nur dazu, diese Träume zu konservieren.

Mutter und Tochter schweben zu Hause vor sich hin, Tom schwebt ins Kino. Zwischen den Anfällen der Mutter und den verzweifelten Selbstbehauptungsversuchen Amandas plant Tom den Ausbruch - als Schriftsteller oder Seemann. Doch die mütterliche Kette hält ihn fest: ohne Verheiratung Amandas keine Freigabe für den Sohn.

Dabei schreckt die ehemalige Ballkönigin aus den Südstaaten auch nicht davor zurück, an ihrem Sohn herum zu fingern, mit ihm verliebt Händchen haltend draußen zu spazieren, was dieser angesichts seiner eigenen sexuellen Nöte nicht einmal recht abwehren kann - jeder ist hier schwach. Lediglich die hinkende, schüchterne Amanda, vermeintlich ohne emotionale Stärke, kann sich zurückziehen und Grenzen ziehen, wo die anderen sich aufreiben.

Kommunikation als Schmerzmittel

Regisseur Hartmann scheucht seine Figuren gnadenlos durchs Glashaus (überzeugende Bühne: Peter Schubert), gönnt der Hausherrin selbst auf dem Höhepunkt der Erschöpfung nur kurze Auszeiten am Telefon, als Rettung vor dem Zusammenbruch. Kommunikation als Schmerzmittel.

Doch es gibt eine Gegenwelt: Unter dem Haus, halb Gefängnis, halb Fluchtburg, brodelt buchstäblich der Matsch, der Sumpf - die unergründliche Leidenschaft. Als Tom seinen Arbeitskollegen Jim O'Connor als scheinbaren Heiratskandidaten für die Schwester ins Haus bringt, ist das Abtauchen in diesen Untergrund der Emotionen programmiert.

Erst fällt beim Dinner das Licht aus - Tom hatte seinen Seemannspass vom Stromgeld erstanden - dann zerbrechen die gesellschaftlichen und familiären Gepflogenheiten. Jim und Amanda robben leicht erregt durch den Morast, bevor sie beide in einem feuchten Sumpf zu versinken drohen - ein Regie-Gag, der es in sich hatte, und aus den Schauspielern kurzzeitig Sporttaucher machte.

Der Sumpf unter dem Haus als Morast der Leidenschaften, Täuschungen und Irrtümer: Plakativer geht es kaum, aber auch nicht lustiger. Der Regisseur amüsierte sich über den Autor, ohne die Akteure zu verraten. Ein bemerkenswerter Balance-Akt.

Frisch geborene Sumpfgöttin

Schauspielerische Schwächen darf es bei nur vier Akteuren nicht geben, und zum Glück lieferte das Schauspielhaus-Quartett eine makellose Leistung ab. Samuel Weiss spielt einen zerrissenen, spröden Tom, der sich aufreibt zwischen Leidenschaft und Verantwortung, von seiner Mutter gerührt und erschreckt zugleich.

Marlen Diekhoff verkörpert dieses dünnhäutig-dickfellige Monster mit schrillen Ansätzen des Wahns und erheblicher Präsenz, ohne dabei zur Bette-Davis-gleichen Puppe zu werden. Der patente, ehrliche bemühte und verzweifelt strampelnde Freund Jim wird von Thomas Lawinky als quirliger, bodenständiger und auch matschbewährter Naturbursche dargestellt - eben keine Glasfigur, sondern aus dem soliden Holz der Erfolgsmenschen geschnitzt.

Überirdisch im besten Sinne hingegen die Laura Wingfield so wie Cordelia Wege sie spielte. Keineswegs nur zarte, verletzte Seele, sondern bewegtes, eigenständiges Wesen, das sich den anderen entzieht, weil sie vor lauter Selbstbespiegelung nichts mit ihr anfangen können.

Im Untergrund-Clinch mit Jim blüht sie auf, aus dem Schlammbad der Leidenschaften geht sie gestärkt hervor. Mit nassen Haaren und ästhetisch-verdrecktem Kleid eine frisch geborene Sumpfgöttin von eigenem Adel. Eine Meisterleistung der Kostümbildnerin Susanne Münzner.

Und am Ende gehen alle zum blattlosen Baum und sehen ihn wie in einer Kulthandlung an - sie stellen sich ihrem Leben. So gelang es Sebastian Hartmann in seiner Inszenierung nicht nur, TennesseeWilliams wenigstens ein bisschen gegen den Strich zu bürsten, er hat auch der vermeintlich verletzlichsten Figur ein neues Profil gegeben.

Erst am Schluss war erkenntlich, weshalb es sich lohnt, die angejahrte »Glasmenagerie« zu entstauben. Laura nicht mehr leblos - eine schöne Idee, die auch vom Publikum mit freundlichem Beifall für die Regie und viel Jubel für das Ensemble quittiert wurde.


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