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Stöbers Greif schrieb am 4.12. 2002 um 16:52:39 Uhr über

Blastertheorie

Über die Akzeptanz verschiedener Schreibmotivationen im Blaster


These 1: Die Blasterianer verfügen beim Schreiben ihrer Artikel über unterschiedlichste Schreibmotivationen.

Systematisierungsvorschlag:
Die Vielfalt dieser Motivationen kann mit Hilfe des bekannten Kommunikationsmodells von Roman Jakobson (das folgende Konstituenten enthält: Sender, Nachricht, Empfänger, Kontext, Kontaktmedium, Kode, woran sich dann wiederum entsprechende Sprachfunktionen anschließen) grob vorsortiert werden. Beispielsweise käme man so zur Unterscheidung von
- Blasterbeiträgen mit dominant emotiver Funktion (Ausdruck der eigenen Befindlichkeit, etwa: »Heute ist ein verregneter Montag und ich könnte mich aufhängen.«)
- Blasterbeiträgen mit dominant appellativer FunktionBitte wählt am nächsten Sonntag Herrn Schröder!«)
- Blasterbeiträgen mit dominant phatischer (=Kanal- oder medienbezogener) FunktionScheiße, immer wenn ich ein neues Stichwort kriege, stürzt mein Computer ab.«)
- Blasterbeiträgen mit dominant referentieller FunktionBei der Osterdemo in Hamburg ging es völlig anders zu wie in der Presse dargestellt; nämlich ...«)
usw.


These 2: Der Blaster (d.h. hier: seine Macher und Beiträger) betrachtet sich als ungewöhnlich freies Kommunikationsforum. Diese Sichtweise trifft nur teilweise zu. D.h. bestimmte Schreibmotivationen genießen eine höhere Akzeptanz als andere.

These 2a: Die unterschiedliche Akzeptanz verschiedenartiger Schreibweisen stimmt nur teilweise mit dem Normensystem der deutschen Gesamtgesellschaft überein.

These 2b: Die Blastergemeinschaft reagiert auf nicht akzeptierte Schreibmotivationen mit Verhaltensweisen, die sie normalerweise ablehnt (Stichwort: Mobbing). Sie setzt diese Sanktionen in der Regel spontan und unreflektiert.

Hilfsthese 2b-1: Die große Mehrheit der regelmäßigen Zulieferer zum Blaster hat ein relativ rigoroses und (wahrscheinlich) auch relativ traditionelles moralisches Normensystem (einer größeren bildungsbürgerlichen Teilgruppe der gesamtdeutschen Nachkriegsgesellschaft) verinnerlicht, das ich hier versuchsweise als liberal-christlich, aufgeklärerisch-basisdemokratisch, emanzipationsfreundlich, sozial, humanistisch, antiautoritär, pazifistisch, tendenziell antikapitalistisch und tolerant charakterisieren möchte. (Alle dieses Teilkomponenten korrelieren sehr hoch miteinander.)

Begründung:
Verglichen mit anderen öffentlichen Kommunikationsplatformen scheint der Blaster relativ frei und tolerant. Der grundsätzliche Verzicht auf Überwachung der Beiträge führt allerdings zu einer Fülle von Problemen unterschiedlichster Art: Zusammenstoß mit rechtlich geschützten Interessen dritter, mit dem Strafgesetz, Vertreibung einzelner Blaster-Zuträger durch eine Flut traditionelle Werte verletzender Beiträge (z.B. rassistischer, sexistischer, sinnleerer Art). Die Blastermacher reagierten auf einige dieser Probleme mit ihrem Bepunktungssystem, das freilich nicht alle Probleme erfaßt und selbst diese nicht befriedigend (vollständig) lösen kann. Deshalb etablierten sich unter der Hand Verhaltensweisen der Stamm-user, die man als »Selbstreinigungskräfte« des Blasters bezeichnen könnte. Diese sind allerdings in ihren Methoden und auch bei unreflektierter Anwendung selber problematisch. (Mir ist bekannt, daß es in den Foren zu »Spitzenzeiten« einer »Unterwanderung des Blasters durch unliebsame Beiträge«, bei sogenannten »Mißbrauchsszenarien« engagierte Diskussionen gegeben hat. Allerdings gingen diese Diskussionen meines Wissens nicht soweit, daß von der Idee der großen Blasterfreiheit grundsätzlich Abstand genommen wurde.)

Ein auffälliges Phänomen ist für mich der Umstand, daß Blasterianer auf Versuche, den Blaster für Werbezwecke zu funktionalisieren, eher noch heftiger reagieren, als auf Versuche, extreme politische, gewaltverherrlichende oder sexistische Inhalte im Blaster zu installieren.

Zusatzbemerkung:
Für recht interessant halte ich Provokationen der Blastergemeinschaft auf einer »mittleren« Ebene: also durch penetrant ungewöhnliche, formale oder sinnleere Beiträge. Beispiele: die »Fret«-Kampagne von Gronkor, den Standardkommentar von Dexter EM oder die Flut der Vernetzungsstellen- und Kotzkelch-Beiträge. Hier läßt sich meines Erachtens so etwas wie eine schleichende Ausweitung des Toleranzspielraums der Blastergemeinde erkennen. Ursprünglich hart abgelehnte Stichworte werden mit der Zeit kreativ in den Blaster integriert: es finden so etwas wie Diffusionsprozesse zwischen den (zunächst) provokativen, allmählich aber (halbwegs) akzeptierten, zumindest ohne größere Proteste hingenommenen Stichwörtern statt. (Aus meiner Frühzeit im Blaster kann ich mich noch daran erinnern, welche Ablehnung langen, zusammengesetzten Stichwörtern entgegengebracht wurde: heute ist dergleichen längst Blaster-Normalität.)

Die Provokationen auf »mittlerer Ebene« könnten vom Blaster als Einladung betrachtet werden, sich über die eigenen Normen und das eigene Sanktionsverhalten zu verständigen.



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