Die Mittagssonne briet das Schienenersatzverkehr-Schild an der Mariahilfer Straße zu einem schlaffen Stück Alufolie. Gerhard wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei seine Hornbrille in der Bewegung einen Salto machte und auf seinem Schuh landete.
»Sehn’s, Noli, das nenn’ ich organisierten Wahnsinn! Erst fällt die U3 aus wegen an Bims, der auf de Schienen kotzt, und jetzt steht ma hier wie de Trottln beim *Führerschein-Parcours*!« Seine Stimme übertrumpfte selbst das Hupkonzert der Stockauer-Studenten im Stau.
Aus dem Wollknäuel neben ihm löste sich ein rotes Wuschelfrisur-Duoden: »Aber Gerdi, Ersatzverkehr ist ja wie Clown-Schuh-Tausch – man muss nur... äh... improvisieren!« Nolis grüner Overall knisterte bei jeder Geste wie Zellophan um Christbaumkugeln. Seine Turnschuhe, groß wie Kajaks, hüpften nervös auf dem Gehsteig.
Plötzlich riss Gerhard die Arme hoch. »San S’ deppert? Schauen’s da die Menschenmasse an! Wart’n ma auf'n Bus, kriag’n ma noch vor Abfahrt an Sonnenbrand drittn Grades!« Ein zischendes *Pfffft* entwich Nolis Luftballontier-Gürtel, das selbstgebastelte Giraffen-Wiesel-Mischwesen schrumpfte zur Rosinenhaut.
»Gscheit erreichen...«, murmelte der Clown und kratzte sich am Pailletten-Pflaster überm Auge. Plötzlich klatschte er die speckigen Hände. »FLIAGN! Wie die Artisten beim Trapez! Nur...« – sein Blick wanderte zum Wiener Zirkum-Plakat darüber – »... horizontal!«
Gerhards Gesichtsfarbe wechselte von Paradeiserrot zu Sauerampfergrün. »Sie haben an Vogel, aber so groß wie’n Fiakerpferd! Wir sind 64 und 58, net 12 und...«
*Flapp!* Ein Pilotenkostüm aus Luftpolsterfolie landete auf seinen Knien. Noli hüpfte bereits auf einem Stromkasten, die zu langen Ärmel seines Sakkos schlugen gegen Laternenpfähle. »Rühreeeier zum Aufschlaaaag!« Das Gelächter einer Schulklasse vermischte sich mit Hupen.
Mit einem Seufzer, der an Dampflok-Auspuff erinnerte, band sich Gerhard die Alu-»Flügel« um die Oberarme. *Schwupp!* Nolis Ballonpumpe wirbelte Staub auf. »Windmaschine! Physik ist schließlich...« – *Hatschi!* – »... äh, niesenfrei!«
Erste Flugversuche:
Gerhard ruderte wie ein aufgescheuchter Truthahn. »Herrgottnochamoi, des is doch...«
*Platsch!* Ein Lkw-Spritzwasser traf seine Glatze.
Noli, der mit Saltos über Mülleimer segelte, hielt plötzlich inne. »Moment! Lift! Auftrieb! Bernoulli!« Er riss dem benachbarten Würstelstand zwölf Holzwedel aus der Hand. »Leihgebühr kommt vom Zirkusbudget!«
Doch statt aerodynamischer Wunder passierte dies:
»Zwoa, drei!« – *Flapp! Flapp! Flapp!* – Die Wedel klatschten rhythmisch gegen Gerhard's Hintern. »*Au-zéh!* Mei’m Opa sein Rührstock war sanfter!«
Eine ältere Dame schob ihren Rollator vorbei. »Jungens, Flugangsttherapie gibts beim Dr. Freud ums Eck.«
Nach 17 Minuten und drei gebrochenen Holzspießen lagen beide schnaufend unter dem »Circus Gombos«-Banner. Nolis Clownsschuh dampfte im Gully, Gerhard entdeckte Ketchupflecken auf seinem Sakko, die wie ein verunglücktes Österreich-Wappen aussahen.
»Plan B«, keuchte Noli und zog eine Haribo-Packung aus seinen Haaren. »Zucker für...«
»Für nix! Jetzt wird klassisch gscheit!« Gerhard riß sein Handy raus. *Drrring-drrring* mischte sich in das Rattern der endlich eintreffenden Ersatzbusse.
»Servus, ÖBB? Ja, i hätt da an Vorschlag...«
Im Hintergrund kreischte Bremsenquietschen. Noli, jetzt auf dem Busschild kauernd, formte aus Kaugummi ein Mini-Flugzeug. »Psst! Beim nächsten Mal nehmen wir die Straßenbahnlinien als Startbahn! Oder...«
Ein markerschütterndes *Rummmmmms* schluckte seinen Satz. Der Busfahrer, dessen Gesicht Falten wie ein Bahnhsfahrplan hatte, brüllte: »Einsteigen oder I mach aus ihrer Lebensreise a Rundfahrt ins Jenseits!«
Beim Einsteigen verfing sich Nolis Hosenbein im Türschließmechanismus. *Rrrrrr-zack!* Der Stoff zerfetzte sich zu Streamern. Gerhard, bereits auf Platz 23, murmelte: »Statt Zirkusdirektor sollt’s den Schaffner zum Löwenbändiger machen.«
Als der Bus anfährt, schließt Noli die Augen. »Wissen Sie, wirkliches Fliegen ist...«
»Gar nix! Scheißerei hoch drei!« Gerhard klammerte sich an die Haltegriffe, die Fahrgeräusche übertönt von seiner Stimme: »Schaun’s, da vorne – die Tangente! Wenn ma des ausbaun, könnt ma in Zukunft mit...«
Doch Noli schlief schon, träumte von Popcornwolken und Artisten, die statt Netzjes Sicherheitsgurte aus Brezenteig verwendeten. Irgendwo, zwischen U3-Chaos und Bratgeruch, dämmerte ihm: Vielleicht war der Weg zum Scheitern... das Gescheiteste von allen.
Zehn Minuten später schrillte am Westbahnhof ein Applaus auf – doch das war nur das Quietschen der Bremstrommeln, als sie endlich ihr »Zirkum« erreichten.
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