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Liquidationsdefensive schrieb am 3.5. 2003 um 11:43:02 Uhr über

Imker

Mein Onkel war lange Kommunist, vielleicht auch Sozialist, vielleicht auch nur Parteimitglied, jedenfalls irgendwie loyal und fühlte sich selbst bei geringfügigen kritischen Bemerkungen gegen seine Einheitspartei persönlich angegriffen, so als ob jemand vom Fussballverein seiner Heimatstadt behauptet hätte, er würde ja nicht gerade wie erste Liga spielen. Da er dann schnell sehr bestimmt und hitzig wurde, ordnete mein Vater dann irgendwann an, wenn es wieder über die Grenze ging, an welcher der Fahrzeugunterboden bespiegelt wurde und kein Kalender mit dem 17. Juni als Feiertag im Gepäck sein durfte: »Und kein Wort über Politik. Wir wollen Urlaub machenAls Großstädter für drei Wochen auf dem Dorf fiel das nicht schwer: Fahrradfahren ohne Gangschaltung auf der holprigen lehmigen Dorfstraße, ohne auf den Verkehr zu achten, ohne Mitgefühl und schlechtes Gewissen die gierigen Stare im Kirschbaum mit dem Luftgewehr abschießen, Holzfloße auf dem mit Entenflott überwucherten Waldweier bauen, sonntags gab es gigantische selbstgebaute Sahnetorten und abends becherten mein Vater und mein Onkel Bier und Bärenfang, selbstgemachten Honigschnaps, ohne von Politik zu reden. Und wenn man vorbei an der Südseite des Hauses, an der Wein rankte, zum Garten ging und durch die kleine Holztür, neben welcher der verlockendste Stachelbeerstrauch stand, hörte man schon am Eingang das Summen aus dem Bienenstock, Hobby oder nebenberufliche Beschäftigung meines Onkels. Der Honig war natürlich unschlagbar und wir fuhren immer mit einer kleinen Kiste voll mit Honiggläsern nach Hause. Neben der eigenen Verwendung verkaufte mein Onkel einen Teil des Honigs an eine landwirtschaftliche Genossenschaft, was lange Zeit gut ging und ihm nebenbei ein wenig Geld einbrachte, bis er jedoch eines Tages erfuhr, der Honig würde von der Genossenschaft mit irgendeiner zuckerhaltigen Mischung verlängert. Diese Erkenntnis empfand er anscheinend als so schlimmen Angriff gegen seine Imkerehre und gegen sein natürliches Qualitätsbewusstsein, was den Honig anging, dass er von einem Verbrechen sprach. Es brachen schwerste Zweifel an dieser volkseigenen Institution und unter den dann wieder beginnenden politischen Diskussionen an seiner Loyalität überhaupt über ihn herein. Für meinen Vater war das Ereignis ein gefundenes Fressen: »Siehst Du, denen geht es auch nur um den Profit, wie bei uns«, hieß es dann. Da war mein Onkel dann einer Meinung: »Eine Schweinerei, diese Panscher, ich ess meinen Honig nur noch selbst, denen verkauf ich nichts mehr«. So fand man plötzlich sich zu der gemeinsamen Überzeugung, es seien doch alles nur verschiedene Namen für den gleichen Lug, Betrug und Egoismus, und am besten verlässt man sich nur auf sich selbst und seinen eigenen Honig. Und so wurde es ein wunderbar harmonischer politischer Abend, der bei reichlich Bärenfang noch bis tief in die Nacht ging.


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