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solarschule schrieb am 4.3. 2003 um 03:27:18 Uhr über

KeinMenschIstIllegal

Profitmaximierung. Diejenigen, die in diesem Prozeß ihre alten Privilegien einbüßen, scheinen sich aufs jammern zu verlegen und kleiden alte Ressentiments neu ein: die Welt als Zerrbild geprägt von unkontrollierten Zuwanderungswellen, international operierenden Verbrecherbanden und Intern,-tkriminalität. Polizeiexperten ' und andere aufmerksam Zeitgenossen goutieren in bewährter Manier"Chancen und Risiken-, doch der Blick auf das, was wirklich passiert, ist merkwürdig verstellt.
Das Verschwinden der Grenze ist nämlich zunächst ein ziemlich deutsches Problem. »Grenze-@ ist eines der seltenen polnischen Fremdwörter im Deutschen. Granica- wurde im Zuge der Eroberungsfeldzüge und der römisch-katholischen Expansion nach Osteuropa im 13. Jahrhundert eingedeutscht. Bezeichnenderweise umschreibt es eher den Rand zu einem Abgrund, und nicht etwa eine Situation, der wie in @frontiere« (vom lateinischen @ons») die Stirn zu bieten wäre. Zur deutschen Grenze« gibt es kein Synonym, border- im Angelsächsischen kennt wenigstens boundary- oder frontier-, die von Siedlern ständig erweiterte Fluchtlinie kolonialer Aneignung. Heute sprechen die Anhänger der @kalifornischen Ideologie- rund um das Computermagazin Wired folgerichtig auch von der "Electronic Frontier' inklusive Bürgerrechten, die es gerade im elektronischen Zeitalter zu erobern und verteidigen gilt.
In Deutschland dagegen herrscht zweidimensionales Denken oder @Geopolitik» vor: Die Spätgeburt Nationalstaat wird vornehmlich mit einem Organismus verglichen. Die Grenze wird als seine Außenhaut imaginiert Und ist unverzichtbar zur Definition von innen und außen, Freund und Feind. In den imperialistischen Großraumplänen präfaschistischer Ideologen wie Karl Haushofer hatte die Grenze elastisch zu sein, um den expandierenden Volkskörper zu schützen und bei seinem naturgegebeneu Anwachsen vor Verletzungen und fremden Einflüssen zu bewahren. Wie virulent dieses Denken gerade heute ist, belegt die grassierende Metaphernschumlst von Schleierfahndung«, über Mylantenschwemme' bis hin zum Schleusertum" - allesamt Kampfbegriffe, die dem organizistischen Modell im wesentlichen treu bleiben: dem Phantasma vom totalisierten
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Volkskörper, dessen Reinheit oder, wie es heute so schön heißt: innere Sicherheit" von Eindringlingen bedroht sei.
Solche rhetorische Kosmetik kann aber nur mühsam darüber hinwegtäuschen, daß die Grenze, die alte Haut, in die Jahre gekommen ist. Sie ist faltig und rissig geworden, aufgeschwemmt und den neuartigen Anforderungen einfach nicht mehr gewachsen. Menschen müssen heute mehrere Berufe gleichzeitig erlernen und ausüben, sie müssen mobil sein und gemäß der Konzerninteressen möglichst weltweit verftigbar sein. Die klassische Arbeitsmigration, die alternativ mit Assimilation oder Rückkehrprämie endete, gehört der Vergangenheit an: Immer mehr Staatsbürger sind darauf angewiesen, ihre Existenz zwischen mehreren Lebensmittelpunkten, nicht selten auf verschiedenen Kontinenten, zu organisieren. Das neo-imperialistische Krisenmanagement produziert schließlich nichts als sich stets verschiebende Konfliktherde, die Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Die meisten schaffen es zwar nur über höchstens eine Grenze bis in den nächsten Nachbarstaat; einige aber gelangen auf Umwegen und sehr zum Ärger der einstigen Kolonialherren bis ins ehemalige »Mutterland«.
Grenzen waren natürlich und schon von jeher ein Mythos: überdeterminiert, immer untrennbar mit Überschreitung, überwindung und Hinter-sich-Zurücklassen verbunden. Aber Grenzen schlossen ein, was auf andere Art und Weise nicht herstellbar oder definierbar war. Hier endet das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland' hieß es und klar war, daß von nun an kommen konnte, was wollte: Urlaub vom eigenen Staat, ein anderes Land mit einer anderen Währung und Geschichte, einer anderen Sprache, anderen Regeln und Gepflogenheiten, die einen im Extremfall für Dinge, die zu Hause Gang und Gäbe sind, ins Gefängnis bringen können.

Freizügigkeit und Fordismus

Es ist sicher kein Zufall, daß die Freizügigkeitsgarantie des bürgerlichen Nationalstaates zumindest in Deutschland zeitgleich mit dem fordistischen Akkumulationsmodell auftauchte: straffe Arbeitsdisziplin bei gleichzeitiger Stärkung der Binnennach-

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