DIE DREI CHINESEN, FOLGE NUMMERO ACHT, ZWEITER TEIL
Als Richard Wagner seinen Vortrag am Klavier beendet hat, sieht der Polizeipräsident Ernst Kuzorra sehr bleich aus. Schweißtropfen wandern auf seiner Stirn herum. Er muss sogar seine riesige Polizeimütze abnehmen, um sie abzuwischen. Dann fingert er erneut heftig an seiner Brusttasche herum.
»Lassen Sie die Pistole noch einen Moment da, wo sie ist, Herr Präsident!«, gibt Richard Wagner nun Anweisung ohne sich auch nur umzudrehen.
Der Präsident ist verdattert und lässt die Hand wieder sinken, während der Mann am Klavier sich nun diabolisch umdreht.
»Sagt Ihnen der Name 'Rachmaninov' etwas?«, fragt er streng.
»Nein!«, sagt der Polizeipräsident, »Nie gehört!« - aber man hört es an seiner Stimme, dass er nach Ausreden sucht.
»So«, spinnt Richard Wagner das Verhör weiter, »dann wissen Sie sicher auch nicht, dass in Sergei Rachmaninovs Villa in Luzern im Jahre 1917 eingebrochen wurde, gerade nachdem dieser weltbekannte Kompunist aus der neu entstandenen Sowietunion in die Schweiz emigriert war und da eine Melodie gefunden hatte, die ihn über alles Heimweh hinwegtröstete...«
»Nein«, sagt der Präsident heftig schnaufend wie ein Nilpferd, »das weiß ich nicht. Und es geht mich auch nichts an. Er hätte ja in der Schweiz zur Polizei gehen können, um den Einbruch zu melden. Aber das ist nicht unser Zuständigkeitsbereich hier...«
»Zufälligerweise«, unterbricht ihn Richard Wagner jetzt, steht auf und kommt ganz nahe an den fetten Präsidenten heran, »zufälligerweise waren Sie aber doch dort. Und wissen Sie auch, woher ich das weiß? Sie trieben sich damals bereits in Cabanossa herum - und von dort nach Luzern ist es nur ein Katzensprung. Und dorthin reisten Sie auch mit dem Glacier-Express, kurz nachdem in den Zeitungen erschienen war, dass Sergei Vassilievitch Rachmaninov an einem neuen Werk arbeite. Rachmaninov hatte - und das wissen die wenigsten - zur Zeit einen Hausdiener. Und der, mein lieber Herr Präsident, hat sie beobachtet, wie sie die Fensterscheibe einschlugen, in das Arbeitszimmer Rachmaninovs eindrangen und die fraglichen Noten mitgehen ließen!«
»Behauptungen, nichts als Behauptungen!«, schreit da der Präsident und stürzt die Fäuste in die Seiten. Dafür brauchen Sie erst einmal Beweise oder einen Zeugen!» «Oh ja», antwortet Richard Wagner da und setzt schnippisch den Zeigefinger auf die Brust des Polizeipräsidenten. «Ich habe sogar Beides! Aber dazu gleich. Erst erzähle ich Ihnen die Geschichte zu Ende. Sie fürchteten nämlich, dass ein möglicher Erfolg Rachmaninovs mit seinem neuen Werk den Erfolg Ihres Großvaters ein für alle Mal in den Schatten stellen könnte, der gerade an einem Kontrabasskonzert schrieb und nicht weiter wusste. Sie brachten das Notenblatt mit dem besagten Motiv zu ihrem Großvater, der es sofort in sein Konzert hineinschrieb. Das hat er Ihnen dann am Klavier vorgespielt - und offensichtlich haben Sie, Herr Präsident, dieses Werk danach nie wieder gehört. Rachmaninov konnte seine Kompusition nicht vollenden. Er versuchte, die Noten aus dem Kopf neu aufzuschreiben, aber der Mittelteil mit der Frage fiel ihm nicht mehr ein. Ihr Großvater dagegen -" und hier macht Richard Wagner eine höchst theaterwirksame Kunstpause,
»konnte sich auch nicht lange an seinem Werk freuen. Denn er hatte vor kurzem einen Hausdiener eingestellt, der, was ihr Großvater nicht wusste, bis kurz vorher für Rachmaninov gearbeitet hatte. Eines Abends, es war im Jahre 1943, und sowohl Kussevitsky als auch Rachmaninov hielten sich in Beverly Hills, California auf, verschaffte sich dieser Hausdiener Zugang zu Kussevitskys Arbeitszimmer, schnitt das Motiv, das eigentlich ja Rachmaninov geschrieben hatte, aus der Partitur aus, und verschwand. Daher, sehr geehrter Ernst Kuzorra, konnte es später in keiner Ausgabe von Kussevitskys Konzert wieder auftauchen. Dass aber Sie wussten, dass es dieses Motiv einmal in den Noten von Kussevitsky gegeben hat, beweist zweifelsfrei, dass Sie es waren, der im Jahre 1917 in Rachmaninovs Villa in Luzern eingebrochen ist!«
Diesen unglaublichen Enthüllungen folgt eine entsetzliche Atempause des Poizeipräsidenten. Er sieht nun so grün im Gesicht aus wie seine olivfarbene Uniform, passend also. Und bevor wir wissen, wie es weitergeht, blättern wir wieder die Seite um...
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