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mod schrieb am 22.7. 2001 um 17:09:53 Uhr über

Geburt

Recht auf Nichtgeburt

aus:
»http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/9120/1.html«

Nathalie Roller 20.07.2001
Der französische Revisionsgerichtshof hat letzte Woche das Recht von behinderten Menschen, nicht geboren zu werden, anerkannt

Das Urteil des Revisionsgerichtshofes sorgt in Frankreich natürlich für einige Aufregung: die französische Ethikkommission, Behindertenvereine und Vertreter der Ärzteschaft kritisieren das Urteil heftig, das besagt, dass behinderten Kindern eine finanzielle Entschädigung zugesprochen werden kann, wenn nachweisbar ein ärztlicher Diagnosefehler vorliegt, der eine »therapeutische Abtreibung« verhindert hat.






Der Revisionsgerichtshof hat letzten Freitag nicht zum ersten Mal ein Recht auf Nichtgeburt behinderter Menschen und auf möglichen Schadenersatz anerkannt: bereits am 17. November 2000 hatte das Urteil im Fall »Perruche« die Gemüter erhitzt. Ein junger Mann hatte auf finanzielle Entschädigung geklagt, weil die Röteln seiner Mutter nicht rechtzeitig während ihrer Schwangerschaft diagnostiziert worden wären und dieser Fehler ihn nun dazu zwinge, mit seiner Behinderung zu leben. Das Gericht gab Nicolas Perruche mit der Begründung Recht, dass die behandelnden Ärzte der Mutter während der Untersuchungen nicht akribisch genug vorgegangen seien und daher ihrer ärztlichen Informationspflicht den Eltern gegenüber nicht gerecht geworden wären. Ein Schadenersatz wurde ihm zuerkannt.

In den drei Fällen, die letzten Freitag behandelt wurden, bekamen nur die Eltern Schadenersatz zuerkannt, auf den sie in Frankreich bei nachweisbaren Fehlern in der Pränataldiagnostik ohnehin schon Anspruch hatten. Die Kinder gingen diesmal leer aus, weil ihre Behinderungen erst nach der 10-Wochenfrist, in der eine legale Abtreibung möglich ist, via Ultraschall festgestellt hätten werden können, urteilte das Gericht. Nach Ablauf dieser Frist ist nur noch eine sogenannte therapeutische Abtreibung möglich, die nur nach Zustimmung von zwei Ärzten nach Untersuchung und Diskussion der Ergebnisse erfolgen kann.

Im Fall Nicolas Perruche ging man hingegen davon aus, dass die Röteln der Mutter schon während dieser 10-wöchigen Frist hätten erkannt werden können, so dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Behinderung und der ärztlichen Unterlassung herstellen lässt.


Besser tot als behindert?


Für Frankreichs Behindertenverbände jedenfalls stellt sich die Frage nach möglichem Anspruch auf Schadenersatz behinderter Kinder nicht wirklich.



»All diesen Urteilen liegt doch die Feststellung zu Grunde, dass es besser ist tot zu sein, als behindert«, erklärt der Sprecher des demokratischen Kollektivs behinderter Menschen. »Man wird es nicht glauben, aber viele von uns sind froh, am Leben zu sein! Diese Diskussion um ein Recht auf Nichtgeburt zeigt doch nur wieder einmal die Unfähigkeit der Gesellschaft, behinderten Menschen eine emotionale, materielle und psychologische Sicherheit zu gewährleisten«.




Es handle sich um eine völlig falsche Fragestellung, meint auch das Kollektiv gegen die »Handiphobie«, die nur dazu führen könne, dass sich die offensichtliche Phobie der Gesellschaft behinderten Menschen gegenüber noch mehr vertiefe. Anstatt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was medizinisch und ethisch machbar sei, solle man lieber darüber nachdenken, wie man das Zusammenleben besser gestalten könne. Die Eltern der behinderten Kinder und die Behinderten selbst, die die letzten vier Klagen eingebracht hätten, hätten der Sache keinen guten Dienst erwiesen.

Das französische Ethikkomitee zeigte sich entsetzt ob der Urteile des Revisionsgerichtshofes, die alle ein Recht auf Nichtgeburt anerkennen. Man habe sich über die bereits veröffentlichte Meinung des Ethikkomitees einfach hinweggesetzt, wonach »niemand das Recht auf Schadenersatz hat, weil er geboren wurde«. Das Gesetz aus dem Jahre 1975, das die Freiheit der Entscheidung über das Leben ihres Kindes verantwortungsbewussten und gut informierten Müttern überlasse, habe Vorrang. Man wolle nicht, dass eine Art »pränataler Euthanasie« eingeführt würde.

Ebenfalls ziemlich beunruhigt zeigt sich die Ärzteschaft, die auf pränatale Diagnoseformen spezialisiert ist. Manche befürchten, dass diese Urteile das Ende der pränatalen Ultraschalluntersuchungen bedeuten könnten. Denn wer wolle schon in verzwickten Fällen das Risiko eingehen, vor Gericht geschleift zu werden. Man werde jetzt sicher weniger mit den werdenden Eltern »plaudern«, um keine gerichtlich nachvollziehbaren Fehler zu begehen.

Das französische Kollegium pränataler Ultraschalluntersuchungen erklärt, dass die Profession dazu da sei, um Krankheiten festzustellen, die vor und nach der Geburt besonderer Behandlung bedürfen, aber nicht um den Eltern mitzuteilen, »ob ein Kind einen Finger zuviel hat«. Ihre Aufgabe sei es nicht, eine Selektion zu treffen, sondern den Eltern soviel Informationen wie möglich zu liefern, um eine Entscheidung treffen zu können.

Mehrere Elternverbände behinderter Kinder haben die Familienministerin Ségolène Royal dazu aufgerufen, sich des sensiblen Themas anzunehmen. Bis zum Herbst will die Ministerin gemeinsam mit betroffenen Kollegen und Experten ein Papier zum Thema »Ethik und behinderte Menschen« erstellen, um eine breitangelegte Debatte zu eröffnen.




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