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adsurb schrieb am 15.10. 2003 um 14:50:10 Uhr über

LoveParade

Das Bedürfnis, zu Klumpen geballt herumzujubeln, ist nicht totzukriegen, schon gar nicht in Berlin. Bis 1989 befriedigten es die Westberliner an der Straße des 17 Juni: Alliierte Militärs knatterten und dröhnten vorbei, und Frontstadtberliner schwenkten kleine Fähnchen. Dass sie damit nichts anderes taten als die von ihnen verachteten Winkelementwackler aus dem Osten der Stadt, hätten sie sich niemals sagen lassen.

Nach dem Kalten Krieg verschwanden die militärischen Paraden aus der Stadt. Das war gut, aber bedauerlicherweise gab es sofort Ersatz. Schon 1989 fand die erste Love Parade statt. Ganz klein war dieser erste Umzug noch, ein paar Dutzend Männeken eierten über den Kurfürstendamm. Ihr Anführer, ein Matthias Roeingh aus Spandau, nannte und nennt sich Dr. Motte. Im mittlerweile 15ten Jahr organisiert der Mann hauptberuflich die Love Parade. 'Friede, Freude, Eierkuchen' hieß eine seiner politischen Parolen - manchmal wird Dr. Motte aber auch konkreter. 1995 erließ er anlässlich der Love Parade folgenden Tagesbefehl: 'Dies ist mein Aufruf an alle Juden der Welt: Sie sollten mal eine neue Platte auflegen. Und nicht immer nur rumheulen.' Vielen Dank, sagten da 'die Juden der Welt', denn schneidige junge Deutsche, die ihnen mitteilen, wo der Hammer hängt, hatten ihnen gerade noch gefehlt. Wenn man frei flottierende antisemitische Affekte für politisch hält, dann ist Matthias Roeingh ein politischer Mensch und die Love Parade eine politische Demonstration.

Weil es fürs Geschäft besser ist, tat dem Dr. Motte die Sache später vorsichtshalber ganz doll leid: 'Ich bitte hiermit um Entschuldigung, falls es irgendjemand falsch verstanden hat. Es war absolut lieb gemeint', sagte er frech zu allen, die ihn genau richtig verstanden hatten. Verstand heißt die Hürde, die nehmen muss, wer das vielgepriesene positive Denken hinkriegen möchte. Bei Dr. Motte und seinen Anhängern ist das Hindernis niedrig und wird einfach überrannt. Dieser Vorgang heißt bis heute Love Parade.

Als im Jahr 2001 der Berliner Senat ausnahmsweise etwas Richtiges tun und der Love Parade den Status der politischen Demonstration endlich aberkennen wollte, legte Dr. Motte eine ganz alte Platte auf und dröhnte: 'Mein Eindruck ist, dass irgendjemand versucht, die Versammlungsfreiheit zu beschränken. Das ist eine Kampfansage an uns und die Demokratie.' Es zählt zu den Besonderheiten der Demokratie, dass wirklich jeder Esel sich auf sie berufen darf, wenn es um seinen Vorteil geht - Matthias Roeingh ebenso wie der Rennfahrer Michael Schumacher, dessen Definition von Demokratie ebenfalls gedruckt vorliegt: 'Wir leben in einer Demokratie, und jeder kann frei entscheiden, welche Sportart er machen möchte.' Wrrrrrm, wrrrrrm!

Stumpf bleibt Dr. Motte bei der Behauptung, sein Ramschkorso sei politisch. 'Wir sind doch kein Techno-Karnevalsumzug', sagt der Organisator des Techno-Karnevalsumzugs, 'sondern eine politische Demonstration. Unser Ideale werfen wir nicht über Bord.' Die heißen nach wie vor: den Millionengewinn abgreifen und die Kosten der Allgemeinheit aufs Auge drücken. Dessen ungeachtet fraternisiert das politische Personal ungeniert mit der Love Parade. Der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit feierte nach seinem Amtsantritt aktiv beim Deppenkarneval mit und trug dazu eine Kappe, die mit Dauerlutschern gespickt war. 'Bild' brachte das Foto und lobte: 'Atemberaubend ... selber mal ein bisschen verrückt sein.' So unfreiwillig schön wurde die Trostlosigkeit des Konformismus selten auf den Punkt gebracht.

Bei ihrem jährlichen Paradeaufmarsch zeigen die Jugend-trainiert-für-Karneval-Spießer dem Betrachter die Insignien des aggressiv angepassten Konsumismus vor: Tattoo und Piercing. Nicht wenige tragen soviel Blech am Körper und im Gesicht wie ein russischer General an der Uniform. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Gepierctsein sei Ausdruck der dringenden Bitte des Gepiercten, man möge ihn am Nasenring durch die Reste seines Lebens schleifen.

Der Love Parade bis zur Ununterscheidbarkeit ähnlich geworden ist eine weitere Massenveranstaltungen, die jedoch mit dem positiven Vorurteil des ganz Anderen, Besseren behaftet ist: der Karneval der Kulturen und der Christopher Street Day. Mit der plumpen Behauptung, eine sexuelle Orientierung sei an sich schon politisch, hat der kommerzielle homosexuelle Aufmarsch die kopfmäßigen Niederungen der Love Parade erreicht. Und wieder ist der Regierende Bürgermeister Wowereit mit von der Partie und der Party. Eingeführt hatte er sich mit dem Satz: 'Ich bin schwul - und das ist auch gut so!' Mittlerweile hat das den Abgeschmack der Masse: 'McDonald's ist einfach gut so.'


Wiglaf Droste


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